Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
oder niederzuschlagen. Natürlich war er Lanfert unendlich dankbar dafür, dass dieser ihm einen Einblick in das Leben seines Vaters gewährt hatte. Im selben Atemzug aber verspürte er auch Wut im Bauch, denn es war letztlich Lanfert und Seinesgleichen, den selbsternannten Gelehrten, die in der Alten Macht nicht mehr als einen Gegenstand für Versuche und Theorien sahen, geschuldet, dass das Andenken an einen großen Krieger heute besudelt war. Und dennoch … wenn er dem Mönch in das blasse und von Sorgenfalten zerfurchte Gesicht blickte, dann erkannte er, dass es wohl niemanden geben konnte, der diesem für sein Versagen schwerere Vorwürfe zu machen vermochte, als Lanfert sie sich selbst bereits machte.
»Ich zürne Euch nicht«, sagte Tarean schließlich ruhig. »Ich danke Euch vielmehr, dass Ihr mir die Wahrheit gesagt habt. Sie bestärkt nur noch meinen Entschluss, dass das Unrecht, das Calvas meinem Vater angetan hat, gesühnt werden muss.«
Der Mönch blickte ihn ernst an. »Du willst den Hexer herausfordern?«
Der Junge nickte. »Ja, wir sind auf dem Weg ins Herz der Dunkelheit, nach At Arthanoc, zur Feste des Tyrannen.«
»Wie willst du vollbringen, was kein Held der Alben und Menschen zu vollbringen vermochte?«
»Ich weiß es noch nicht«, gestand Tarean, »aber ich bin kein Held, und vielleicht gelingt es mir gerade deshalb, der Aufmerksamkeit des Hexers zu entgehen, bis mein Schwert an seiner Kehle liegt.«
Lanfert lachte leise und schüttelte ungläubig den Kopf. »Tapferkeit und Wahnsinn liegen manchmal so nahe beieinander, dass es schwer ist, sie zu trennen. Doch ganz gleich, ob das eine oder das andere dich antreibt, der Segen der Dreigötter möge dich auf deiner Reise begleiten. Dies und meine Gebete kann ich dir bieten, so wenig es ist. Und einen Rat noch gebe ich dir mit auf den Weg: Unterschätze niemals die Verschlagenheit des Hexenmeisters. Er vermag vieles und weiß noch mehr. Und wenn ein Pfad allzu einfach scheint, so meide ihn, denn er wird dich in die Irre führen, so wie er mich in die Irre führte. Je näher du seiner Burg kommst, desto mehr erinnere dich meiner Worte.«
Der Mönch blickte zwischen den dicht belaubten Baumwipfeln hindurch zur Sonne, die bereits hoch am Himmel stand, und erhob sich. »Ich denke, wir sollten nun zu den anderen zurückkehren. Ihr müsst bald aufbrechen. Es liegt noch viel vor euch.«
Am frühen Nachmittag verabschiedeten sich Tarean, Auril, Bromm und Moosbeere von Endhréan Falkenauge und seiner Bande aus Gesetzlosen. Zuvor hatte sich die Albin mit Shivonne über die Begehbarkeit und den Zustand der in gewissen Kreisen bekannten Schleichwege nach Astria ausgetauscht, und sie waren von Leyda bemerkenswert großzügig mit Proviant versorgt worden – Tarean argwöhnte, auf Lanferts Betreiben hin. Danach führte sie Endhréan in Begleitung von Rodrik und Fenrir von der Höhle hinab ins Tal, und hier trennten sich schließlich ihre Wege.
»Gehabt Euch wohl«, rief der Alb zum Abschied. »Und wenn ihr irgendwann hierher zurückkehrt, haltet die Augen nach uns offen.«
»Das werden wir«, erwiderte Tarean. »Und habt Dank für alles.«
Das Land begann nun, sanft aber stetig anzusteigen. Vor ihnen, im Nordosten, verstellten die grauen, schroffen Bergflanken der Zwölf Zinnen den Horizont wie die gewaltige, mehrere Tausend Schritt hohe Wehrmauer einer Götterfestung. Sie glichen einem Bollwerk, dessen Gipfelzinnen selbst unter geübten Berggängern als unbezwingbar galten. Einzig einige abenteuerliche Pfade entlang steiler Abhänge und der Drakenskal-Pass ermöglichten den Übergang nach Astria.
Die Gefährten hielten sich abseits der baumlosen Schneise, in deren Mitte sich das breite, erdfarbene Band der Handelsstraße ins Gebirge hinaufschlängelte. Gelegentlich sahen sie in der Ferne, wie sich Rotten der Wölfe und schwer bewachte Handelszüge von Thal nach Astria und zurück bewegten. Hier durften sie sich keinesfalls blicken lassen.
Stattdessen wanderten sie querfeldein, mal einem Bachlauf folgend, dann einem Wildwechsel, und für Tarean erweckte es den Eindruck, als würden sie einer willkürlichen Zickzackroute folgen. Doch als er Auril darauf ansprach, lachte diese nur und sagte: »Vertrau mir. Ich kenne diese Wege.«
Am Abend erreichten sie schließlich ein kleines geschütztes Felsplateau, das von den Niederungen aus nicht einzusehen war, ihnen selbst aber eine gute Aussicht auf die sie umgebende Landschaft bot. Während Bromm und Auril
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