Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
Rechten nach dem Verband, der ihren Oberkörper bedeckte. »Aber jetzt spüre ich die Wunde bereits kaum noch. Wie ist das nur möglich?«
Der Junge trat vor und hob das Amulett des Vogelmenschen auf, das ihr beim Erwachen von der Brust gefallen war. »Hier, schau«, sagte er und hielt es ihr hin. »Das ist Kilrien. Ein Freund schenkte es mir, bevor ich aus Bergen aufbrach.«
Auril nahm die kleine, bronzene Scheibe an dem Lederband in die Hand und betrachtete sie. »Es fühlt sich an, als sei das Amulett lebendig«, stellte sie verblüfft fest.
»Es ist erfüllt von der Alten Macht. Heilkräfte wohnen ihm inne«, erklärte der Junge, und dann fügte er einer inneren Eingebung folgend hinzu: »Es gehört jetzt dir.«
Die Albin warf ihm einen abwehrenden Blick zu. »Nein, Tarean, das möchte ich nicht. Es wurde dir vermacht.« Sie machte Anstalten, es ihm zurückzugeben, doch er schob ihre Hand zurück.
»Und nun vermache ich es dir. Es fühlt sich richtig an. Einst hat Kilrien meinem Freund das Leben gerettet, und danach schenkte er es mir. Nun hat Kilrien mir gedient, indem es dich heilte. Also gebe ich es in deine Obhut, auf dass du mit seiner Hilfe irgendwann ebenfalls ein Leben retten kannst.« Der Gedankengang war offenkundig nicht ganz frei von Fehlern, aber da Auril sah, wie ernst es dem Jungen war, nickte sie, schloss ihre Hand um die Bronzescheibe und schenkte ihm ein kurzes, dankbares Lächeln.
In diesem Augenblick kam der Mönch Lanfert herein. Sein Gesicht unter der Kapuze war noch immer verschleiert. »Bei den Dreigöttern, es ist wahr! Sie ist von den Gestaden des Todes zurückgekehrt. Unsere Gebete wurden erhört.« Tarean konnte die Miene des Mönchs durch das Tuch nicht erkennen, doch seine Stimme wurde strenger. »Nichtsdestoweniger ist es spät und eure Gefährtin noch schwach. Sie braucht unbedingte Ruhe, denn wir wollen die Gnade der Dreigötter doch nicht auf die Probe stellen, nicht wahr?« Auril und Tarean wollten beinahe gleichzeitig aufbegehren, doch der Mönch unterbrach sie mit einer knappen, aber bestimmten Geste. »Keine Widerrede. Morgen geht die Sonne auch wieder auf – und dank den Göttern für uns alle hier. Dann ist noch genug Zeit, zu lachen und zu reden und Pläne zu schmieden. Doch für heute heißt es: Ruhet wohl.«
So verabschiedeten sich die Gefährten voneinander. Moosbeere huschte als Erstes hinaus, Bromm nickte Auril noch einmal aufmunternd zu, bevor er die Kammer verließ, und auch der Mönch trat an Tarean vorbei und klopfte ihm im Gehen väterlich auf die Schulter. Der Junge allerdings zögerte einen Augenblick und blickte Auril an, während diese sich wieder zurück auf ihr Lager sinken ließ und die Augen schloss, um dem Gebot des Mönchs nachzukommen und sich Ruhe zu gönnen. Er dachte schon, sie sei sofort wieder eingeschlafen, erschöpft von dem kurzen Besuch ihrer Gefährten, doch als er sich schließlich umwandte, hörte er ihre Stimme, die noch einmal nach ihm rief: »Tarean.«
Er verharrte im Eingang der Kammer. »Ja?«
»Danke.«
Er schluckte. Ich hätte es nicht ertragen, wenn du gestorben wärst , dachte er bei sich, aber er wagte es nicht, den Gedanken in Worte zu fassen. Doch auch so war es ihm, als habe Auril sein Zögern verstanden, denn er glaubte regelrecht zu spüren, wie sich ihre glühenden grünen Augen in seinen Rücken bohrten. »Gute Nacht, Auril.«
»Bis morgen, Tarean.«
Und damit ging auch er.
Am nächsten Tag saßen sie alle gemeinsam vor der Höhle und frühstückten. Aurils Zustand hatte sich auf geradezu magische Art und Weise verbessert. Die furchtbare Wunde, die sie beinahe das Leben gekostet hatte, schien über Nacht gut verheilt zu sein, und wäre nicht gelegentlich bei einer unbedachten Bewegung ein Ausdruck des Schmerzes über ihr Gesicht gehuscht, hätte niemand ahnen mögen, dass noch vor wenigen Stunden der Tod erwartungsvoll an ihrer Bettstatt gesessen hatte.
Während sie aßen, erzählten Endhréan und Rodrik vom Leben im Wald und überboten sich beinahe darin, gegenüber Bromm, Auril und Tarean mit vergangenen Heldentaten zu prahlen, nur unterbrochen von einigen ziemlich respektlosen Einwürfen Shivonnes, gelegentlichen Richtigstellungen von Seiten des Magisters und dem beifälligen »Hört, hört« der beiden ehemaligen Bauern. Leyda kümmerte sich unterdessen darum, dass sie alle mit Brot und Käse und heißem Kräutertee versorgt waren, und der Nondurier Fenrir saß stumm, aber mit belustigter Miene nahebei
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