Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
das drohende Antlitz des Schwarzpelzes vor Augen und immer wieder schreckte er auf, weil er zu hören glaubte, wie sich viele Schritte verstohlen dem Lager zu nähern versuchten.
Entgegen ihrer Angewohnheit, im Dunkeln in der Gegend herumzustreifen, blieb Moosbeere in dieser Nacht an seiner Seite und huschte nur immer wieder im hinteren Bereich des Plateaus umher, rastlos und eindeutig begierig darauf, weiterzureisen. Der Junge nahm an, dass sich das Irrlicht des Grawl-Zauberers wegen nicht aus seinem Versteck traute, und eigentlich war es ihm auch ganz recht. Denn er wiederum befürchtete, dass der Schein des Irrlichts den Verfolgern ihren Aufenthaltsort preisgeben würde. Am liebsten hätte er es zurück in seine Tasche gesteckt, die von der fürsorglichen Leyda mit einem Flicken repariert worden war, aber er wusste, dass er mit solch einem Ansinnen bei der unruhigen Moosbeere auf taube Ohren gestoßen wäre.
Noch vor Sonnenaufgang packten sie ihre spärliche Ausrüstung zusammen und eilten weiter. Ihr Weg führte sie jetzt in einem fort bergauf, und Nadelgehölze lösten die Laubwälder ab, durch die sie bislang gereist waren. Die Landschaft wurde zunehmend felsiger, das Gras flacher und moosähnlicher, und die Hänge waren mit Geröll und Felsbrocken übersät, zwischen denen kleine Büschel blassgelber Wildblumen wuchsen.
Noch vor dem Mittag zogen die Wolken am ohnehin schon trüben grauen Himmel zusammen, und es fing an zu regnen. Stunde um Stunde ergoss sich das kühle Nass über ihre Häupter, und Tareans Stimmung verschlechterte sich zusehends. Auch Auril, deren Hautfarbe sich vortrefflich in die felsige Landschaft und den bedeckten Himmel einfügte, blickte reichlich verdrossen unter der Gugel hervor, die sie übergezogen hatte. Und aus Tareans Tasche drang leise, aber ohne Unterlass das Jammern Moosbeeres, die in den letzten Nächten zu wenig Bewegung bekommen hatte und deshalb an diesem Tag einfach nicht müde werden wollte.
Nur Bromm schien das Wetter nicht das Geringste auszumachen. Stoisch tapste der Bär ihnen auf allen vieren voraus, das Wasser troff ihm aus Fell und Kleidern, und ab und zu drehte er sich zu ihnen um, pustete mit einem Schnauben die Tropfen von seiner Nase und brummte aufmunternd: »Kommt schon. Und schaut nicht so trübsinnig. Es könnte kaum besser für uns sein.«
Und er hatte natürlich recht, denn ungeachtet der Tatsache, dass Tarean alles für nur eine Stunde wärmenden Sonnenscheins gegeben hätte, kam ihnen der feuchte Segen eigentlich zugute, denn er spülte ihre Spuren vom steinigen Untergrund, denen feine Augen und Nasen selbst hier noch hätten folgen können.
Schließlich umrundeten sie am späten Nachmittag eine Felsnase, und vor ihnen klaffte der breite Einschnitt zwischen den himmelstürmenden Bergen auf, dessen Name mit dem vielleicht dunkelsten Kapitel der jüngeren Geschichte der westlichen Reiche verknüpft war. Der Drakenskal war seit jeher ein karger, lebensfeindlicher Ort gewesen. Doch seit vor sechzehn Jahren in jener furchtbaren Schlacht Tausende auf ihm den Tod gefunden hatten, seit der Pass übersät war von den bleichen Gebeinen der Gefallenen, die niemand von dort geborgen und den Riten der einzelnen Völker gemäß bestattet hatte, gab es kaum einen Ort auf Endar, der im Volksmund als verfluchter und unheimlicher galt, als dieses Niemandsland zwischen Thal und Astria. Selbst die Wölfe, die den Pass besetzt hielten, beobachteten ihn gerade des Nachts mit argwöhnischen Augen.
Entsprechend hatten sie es auch nicht gewagt, ihre Befestigungsanlage, die als Wach- und Zollstation gleichermaßen diente, in der Mitte der Ebene zu errichten. Stattdessen versperrte das vielleicht drei Manneslängen hohe Wehr den Zugang bereits direkt auf den westlichen Anhöhen, die den Rand des kraterähnlichen Talkessels bildeten. Der aufgeschüttete Erdwall mit seinem darauf errichteten Steinfundament und den abschließend aufgesetzten hölzernen Palisaden und Türmen zog sich dabei über die gesamte Breite der Ebene hin, um jedwedes Durchschlüpfen an den nahen Steilhängen zu unterbinden.
»Am östlichen Ausgang der Ebene gibt es noch eine zweite Befestigung, aber niedriger und schlechter bewacht, kaum mehr als eine Palisade mit einer Handvoll Türmen«, berichtete Auril, während sie von einem Versteck aus den Wall beobachteten und auf die Dämmerung warteten. »Ich nehme an, die Wölfe rechnen nicht mit einem Angriff aus Astria. Man munkelt sogar, sie hätten jenes
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