Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
Schriftstück.
»Aber der Brief wurde an Euch geschrieben«, wandte der Junge ein.
Halfbadur winkte ab. »Ach, was macht das schon? Der Wirrkopf wird sicher keinen Minnesang zu Papier gebracht haben.« Er begann, seine Einkäufe aus dem Rucksack auszuräumen, als interessiere ihn das Ganze überhaupt nicht.
Tarean warf Iegi einen fragenden Blick zu, und dieser machte eine auffordernde Geste. »Also schön.« Er brach das Siegel und rollte das Schriftstück aus. Die Nachricht, die darauf in den kunstfertigen Schwüngen einer Gelehrtenhand geschrieben stand, war ebenso kurz wie geheimnisvoll.
Teurer Freund,
sollte Euch nach meinem Rat dürsten, so kommt mich doch einfach besuchen. Ich wohne gar nicht weit von hier. Sechs Brüder weisen Euch den Weg – drei fallend, drei in die Höhe strebend –, wann immer die Sonne den Mond begrüßt. Mein Garten ist grau, mein Gartenweg blau, die Türschwelle grün. Schlagt mir dreimal die Glocke, und ich höre Euch. Schlägt Euch die Glocke dann dreimal, seht Ihr mich. Ich wünsche keinen Lohn für meine Weisheit. Aber Loxli würde Euch für ein paar Schmetterlinge danken.
Mögen die Kristalldrachen über Euch wachen
Questoi
»Das klingt ja völlig verrückt«, bemerkte Iegi, als Tarean mit dem Vorlesen fertig war.
Halfbadur lachte. »Ja, das passt zu Questoi. Stellt ihm eine geradlinige Frage, und er wird euch auf so verschlungenen Wegen antworten, dass ihr euch wünscht, ihr hättet ihn gar nicht erst angesprochen.«
»Schmetterlinge …« Tarean runzelte die Stirn.
»Oh, das ist der einzige Teil des Briefes, den ich euch erklären kann«, sagte der Sette. »Loxli ist Questois Haustier oder vielmehr Gefährte. So ein kleiner, gefiederter Drache. Ein komisches Geschöpf. Bei Questois letztem Besuch habe ich ihn mit settischem Salzgebäck gefüttert, das in seiner Form an Schmetterlinge erinnert. Ich habe hier sogar irgendwo noch welche von meinem letzten Besuch in Bergspitze. Schmecken großartig zu Wein und Hartkäse.« Er fing an, in dem Regal zu wühlen.
»Diese Nachricht ist offensichtlich ein verschlüsselter Hinweis auf Questois Aufenthaltsort«, ließ sich Janosthin vernehmen. »Nur, was soll das alles bedeuten?«
Der Sette und Iegi traten hinzu, um ebenfalls einen Blick auf das Schriftstück zu werfen. »Die Sonne, die den Mond grüßt, könnte auf eine Tageszeit hinweisen, etwa die Morgendämmerung«, schlug der Taijirinprinz vor. »Manchmal, wenn ich von Airianis aus in aller Frühe hinaus in die Wolkenberge geflogen bin, habe ich am Himmel noch die blasse Scheibe des Mondes gesehen, obwohl sich im Osten schon die Sonne über die Berggipfel erhob.«
»Soll das heißen, wir finden den Weg zu Questoi nur in der Morgendämmerung? Was soll das denn für ein seltsamer Weg sein?«, wunderte sich Tarean.
»Diese Brüder erinnern mich an etwas«, murmelte Janosthin und kratzte sich an seinem kurzen Bart. »Aber es will mir nicht einfallen.«
Tarean ließ den Brief sinken. »Ich nehme an, dass Questoi die Nachricht so verfasst hat, dass Halfbadur seinen Hinweisen von seiner Bleibe aus zu folgen vermag. Also schlage ich vor, dass wir bis zur Morgendämmerung warten und dann einen aufmerksamen Blick auf die Landschaft werfen. Vielleicht fällt uns etwas auf.«
Die anderen nickten, und der Junge verstaute den Brief in seiner Tasche.
»Hab sie«, frohlockte Halfbadur in diesem Augenblick und hielt einen Stoffbeutel in die Luft. Er zog eines der Gebäckstücke hervor. Sie sahen tatsächlich aus wie Schmetterlinge.
Den Rest des Tages rasteten sie bei Halfbadur und erholten sich von den Reisestrapazen der letzten Tage. Während Janosthin loszog, um die Bergspalte zu erkunden, entledigten sich Tarean und Iegi ihres Rüstzeugs, breiteten ihre Decken aus und ließen sich die Sonne auf die Brust scheinen.
Am späteren Nachmittag, als die Sonne den Zenit bereits eine Weile überschritten hatte und der Berg seinen Schatten über Halfbadurs Versteck zu werfen begann, tauchte der Sette, der sich bislang kaum um sie gekümmert hatte, plötzlich aus seiner Hütte auf. Er trug den blau-weißen Schild und hielt sein blankes Breitschwert in der Hand. Es sah aus, als sei es von Meisterhand geschmiedet worden, aber genau wie Zaeenas Stangenwaffe wies es keine in die Klinge eingelassenen Runen auf. Offenbar gehörten machterfüllte Waffen selbst in den Rängen der Kristalldrachenritter zu einer Seltenheit.
»Aufstehen, ihr müden Knochen!«, befahl Halfbadur knurrend. »Jetzt
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