Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
ankündigte, leise von seinem Lager, schüttelte die steifen Glieder aus und trat dann an den Rand des Hanges, um den Blick über die dunklen Berge schweifen zu lassen.
Plötzlich tauchte Moosbeere neben ihm auf. »Du bist zu früh«, stellte das Irrlicht fest, dem er am Abend zuvor aufgetragen hatte, sie zu wecken, sobald die ersten Anzeichen der Dämmerung zu sehen waren.
»Ich weiß«, erwiderte Tarean.
»Hast du schlecht geschlafen?«, erkundigte sich seine winzige Gefährtin.
Moosbeeres Fürsorge entlockte ihm ein Lächeln. »Nein, nur unbequem gelegen.« Ein Gedanke kam ihm in den Kopf, und er beschloss den Moment auszunutzen, den er mit dem Irrlicht allein teilte. »Erinnerst du dich daran, wie ich vor ein paar Tagen den Dunkelgeist verjagt habe?«
»Ja.« Neugierig schwirrte Moosbeere um ihn herum und sah ihn erwartungsvoll an. Sie wusste mittlerweile, dass er so etwas nicht fragte, um ihr Gedächtnis auf die Probe zu stellen.
»Du hast danach gesagt, dass die Alte Macht in mir sei.«
Das Irrlicht nickte. »Ich habe es genau gespürt. Du hast die Alte Macht eingesetzt, auch wenn du nicht gewusst hast, was du tatest.«
»Das ist eine Folge des Seelenwechsels, nicht wahr? Ein Teil deiner Kraft ist noch in mir.«
»Hm, ja, das ist möglich.«
»Gestern ist sie wieder aus mir herausgebrochen. Ich wurde zornig, weil ich einen Schwertkampf gegen Halfbadur verloren hatte und mich die Niederlage an einen alten Rivalen auf Burg Dornhall erinnerte. Auf einmal durchfuhr es mich, und ich schlug Halfbadur mit einem unglaublichen Streich die Waffe aus der Hand. Danach glühte mein Arm erneut auf diese seltsame Weise.«
Moosbeeres Augen wurden für einen Moment groß. Dann hob sie tadelnd den Finger. »Tarean Keinriese, du musst wirklich lernen, dich zu beherrschen. Ich weiß nicht, welche Macht du nun in dir trägst, aber so groß sie ist, so groß ist auch die Verantwortung, die dir damit übertragen wurde, das ist dir hoffentlich klar!«
»Genau deshalb möchte ich von dir wissen, ob du mir beibringen kannst, wie ich sie gezielt nutze.«
Seine winzige Gefährtin prallte überrascht zurück. »Was, ich?«
»Wer sonst? Immerhin war das, was nun in mir verborgen liegt, einst ein Teil von dir.«
»Ja, aber du bist ein Mensch. Woher soll ich wissen, wie sich die Alte Macht auf einen Menschen auswirkt?«, wandte Moosbeere ein, doch ihr Widerstand wirkte eher kläglich.
»Du bist ein Geschöpf der Alten Macht! Woher soll ich als Mensch wissen, wie diese wirkt?«, hielt ihr Tarean entgegen. »Wir können es nur gemeinsam schaffen.«
Seiner Bitte wurde mit einem Seufzen stattgegeben. Moosbeere huschte an seine Seite und ließ sich auf seiner Schulter nieder. »Ich will es versuchen«, versprach sie ihm leise.
Tarean lächelte. »Danke, Moosbeere, ich weiß das zu …« Er unterbrach sich und holte scharf Luft. »Moosbeere, schau doch!« Mit dem rechten Arm deutete er auf das Bergpanorama vor ihren Augen. Er hatte schon die ganze Zeit auf die Stelle geblickt, ohne wirklich wahrzunehmen, was sich ihm dort zeigte. Jetzt, da ein helles graues Band die Gipfel der Berge schattenrissartig hervorhob, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Direkt vor ihnen, in einer Entfernung von vielleicht zwanzig Meilen, ragten drei mächtige Bergkuppen majestätisch in den Himmel. Schnee glitzerte auf ihren Spitzen, die dadurch wie das nahe, leicht verzerrte Spiegelbild dreier Sterne wirkten, die auch am heller werdenden Nachthimmel noch deutlich zu sehen waren und in einer schrägen Linie auf die Nordwand des rechten Berges wiesen. Hoch über ihnen stand die blasse Scheibe des fast vollen Mondes.
»Sechs Brüder – drei fallend, drei in die Höhe strebend«, flüsterte Tarean aufgeregt. »Es sind die Sterne, die auf die Berge weisen. Dort liegt Questois Versteck. Iegi! Janosthin! Wacht auf!« Er wirbelte herum und rannte zu seinen Gefährten zurück, die sich bei dem Lärm die Augen rieben.
»Ist schon Morgen?«, fragte der Sette verschlafen.
»Ist es!«, rief Tarean und rüttelte die Freunde aufgeregt an der Schulter. »Kommt rasch. Ich glaube, ich habe das Rätsel gelöst, das uns Questoi gestellt hat.«
Kurz darauf standen sie zu viert an der Stelle, an der sich der Junge zuvor mit Moosbeere unterhalten hatte, und Iegi und Janosthin blickten auf den funkelnden Wegweiser am Himmel, der mit jedem Zoll, den sich die Sonne über den Horizont erhob, blasser wurde. Nach wenigen Augenblicken waren die Sterne nicht mehr zu sehen.
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