Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
Unterwasserhöhle zu stehen, die von vereinzelten, durch Löcher in der Decke einfallenden Sonnenstrahlen erhellt wurde. Doch es gab kein Wasser an diesem Ort, nicht einmal in dem annähernd kreisrunden Becken, das den Großteil des Bodens der Kammer einnahm. Stattdessen war dieses mit einer Flüssigkeit gefüllt, die an geschmolzenes Silber erinnerte und – wenn unberührt – eine makellos spiegelnde Fläche bildete. Das Wasser des Sehens nannten die Alben die machterfüllte Flüssigkeit, und an diesem geheimen Ort tief im Schoß des Berges hatte sie ihren aus unbekannter Quelle gespeisten Ursprung.
Hochkönig Jeorhel von Albernia stand stumm am Rand des Beckens und betrachtete sein Spiegelbild, das ihn aus bernsteinfarbenen Augen nachdenklich anblickte. Hinter ihm führte eine in den Fels gehauene Treppe aufwärts zu einer schweren, mit silbernen Runen verzierten Tür. Diese Pforte war zu allen Zeiten verschlossen, und nur eine kleine Gruppe Auserwählter besaß den magischen Schlüssel, um sie zu öffnen.
Zur Rechten des Albenherrschers befand sich eine wenige Schritt breite Nische, in der zwischen zwei niedrigen Kohlepfannen ein Lager aus weichen Kissen errichtet worden war. Dufthölzer lagen in der Glut und verströmten neben der Wärme einen leichten Geruch nach süßem Harz.
Inmitten der Kissen kniete eine Albin. Sie trug ein bodenlanges, ärmelloses Gewand aus weißem Stoff, das am unteren Saum und am Ausschnitt mit einer aufwendigen, silbernen Borte besetzt war. Von silberner Farbe war auch der schmale Gürtel, der um ihre Hüften geschlungen war, ebenso wie die breiten Reifen, die sich um die dunkelgraue Haut ihrer Oberarme schlossen, und der Kamm, der in ihrem nachtschwarzen Haar steckte, das ihr offen und lang über den Rücken fiel. Die Frau hatte die Augen geschlossen, und ihre Hände lagen gefaltet in ihrem Schoß. Es schien, als meditiere sie. Nur wer genau hinsah, bemerkte, dass gelegentlich ein Muskel in ihrem Gesicht zuckte und ihre Augen hinter den Lidern hin und her rollten, als sei sie in einem außergewöhnlich aufregenden Traum gefangen.
»Was seht Ihr, Ereadhne?«, fragte Jeorhel mit leiser Stimme, ohne die Frau anzublicken. Doch die Seherin, von manchen auch als das Orakel bezeichnet, antwortete nicht. Solange die Visionen des Wassers des Sehens auf sie einstürzten, nahm sie nichts von dem, was um sie herum geschah, wahr. Selbst nachdem die Bilderflut abgeklungen war, würde es eine Weile dauern, bevor sie das Gesehene so weit in ihrem Geist geordnet hatte, dass sie Jeorhel davon berichten konnte. Der Hochkönig würde sich in Geduld üben müssen, eine Tugend, die er, ungeachtet der Vielzahl seiner Jahre, noch immer nicht vervollkommnet hatte.
Jeorhel hörte, wie hinter ihm die Tür zur Quellkammer behutsam geöffnet wurde, und drehte sich um. Sinjhen, sein Berater und Mann für besondere Aufgaben, stand im Türrahmen. Seine violetten Augen glühten im Dämmerlicht der Kaverne.
Der Hochkönig schenkte der noch immer im Reich der Träume weilenden Seherin einen letzten Blick, dann wandte er sich ab und stieg die Treppe hinauf. »Was gibt es, Sinjhen?«, fragte er den Vater Aurils, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten und eine breite Wendeltreppe erklommen, die sie zur Feste hinaufführte.
»Der Bote, den Ihr nach Durai zum Palast des Padeschdahs geschickt habt, um Erkundigungen hinsichtlich der Gerüchte über einen Krieg in der Steppe von Nondur einzuholen, hat sich gemeldet.«
Jeorhel hob eine Augenbraue. »Und was sagt er?«
»Die Vertreter des Padeschdahs lassen ausrichten, dass es sich um einen einfachen Streit mit den dort beheimateten Kazzach handelt und dies nicht unsere Sorge zu sein braucht.« Sinjhen schenkte seinem Herrscher ein säuerliches Lächeln.
»Ihr teilt diese Einschätzung nicht?« Es war im Grunde eine rhetorische Frage, denn Jeorhel kannte seinen langjährigen Berater gut genug, um zu wissen, dass dieser ein feines Gespür dafür hatte, was jemand sagte und wie die Wahrheit hinter den Worten aussah. Gerade Würdenträger – ganz gleich welchen Volkes – neigten dazu, Ereignisse zu beschönigen und kleine, aber entscheidende Einzelheiten zu unterschlagen.
»Mit Verlaub, mein König, ich denke, dass die Gefahr, die aus dem Herzen von Nondur droht, größer ist, als der Padeschdah es uns weismachen will. Und er verschweigt uns dies nur deshalb, weil er ein misstrauischer Mann ist. Er fürchtet, dass wir versuchen könnten, einen Vorteil daraus
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