Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
Dazwischen lagen einsame, tiefe Seen, die aus kühlen Bächen gespeist wurden, und Haine aus dunklen Nadelhölzern erhoben sich wie Inseln aus dem saftigen Grün. Am östlichen Horizont ragten die weißen Massive der Wolkenberge auf, und nach Westen hin, so wusste die Albin, wurde Rûn von den Arden begrenzt. Im Norden schließlich lagen die eisige Einöde Firnlands und die schier endlose Weite des Nordmeers, dessen graue Wellen an die Klippen der Steilküste Rûnlands brandeten.
Das Schönste und zugleich Eigentümlichste an der Heimat der wilden Rûnländer war das Licht, das alle Farben – das Grün und Braun des Grases, das Violett der Heidesträucher und das Blau der Seen – regelrecht zum Leuchten brachte. Auril vermochte nicht zu sagen, ob diese Eigenart der Höhenluft geschuldet war oder ob vielleicht der ganz leichte Dunst damit zu tun hatte, der am Himmel von Rûn hing. Sie war sich jedoch sicher, dass ein Maler oder ein Poet angesichts solcher Pracht unweigerlich ins Schwärmen geraten wäre. Und auch sie konnte sich dem Zauber des Landes nicht entziehen.
Während der drei Tage, die Auril, Bromm, Haffta und Zaeena durch das Hochland wanderten, um Wînhall, die einzige Stadt Rûns, zu erreichen, erzählte ihnen Aurils Mutter von den Einheimischen, die sich selbst Clansmannen nannten – nach ihrer Gesellschaftsform, die aus Großfamilien oder Clans bestand. »Die einzelnen Clans«, erklärte sie, »leben in lockeren Dorfverbünden über ganz Rûn verstreut. Normalerweise zählen sie nicht mehr als ein paar Hundert Köpfe. Gelegentlich ziehen sie los und schlagen sich aus irgendeinem nichtigen Grund auf irgendeiner grünen Wiese gegenseitig die Schädel ein. Aber die meiste Zeit herrscht Frieden unter ihnen. Dafür sorgt schon das Clansrund in Wînhall. Dort treffen sich die Oberhäupter der Familien alle zwei Monde und halten Rat.«
»Wie viele Clans gibt es eigentlich?«, wollte Auril wissen.
Zaeena zuckte mit den Schultern. »Vielleicht vierzig oder fünfzig. Ich war lange nicht mehr hier. Außerdem bin ich eine Ritterin des Ordens, keine Gelehrte, die sich mit Landeskunde beschäftigt.«
»Gibt es etwas, das wir beachten sollten, wenn wir Wînhall erreichen?«, fragte Bromm.
»Passt auf, was ihr sagt oder tut. Die Rûnländer haben ein ziemlich schlichtes Weltbild. Entweder sie mögen einen, oder sie mögen einen nicht. Tiefländer wie uns können sie erfahrungsgemäß erst mal nicht leiden, zumindest bis man ihnen seinen Wert erwiesen hat. Und wenn ihr euch mit einem von ihnen anlegt, habt ihr sie meist gleich alle am Hals, denn sobald Tiefländer ins Spiel kommen, sind alle sonstigen Streitereien einstweilen vergessen.«
»Wie verhalten wir uns also?«
»Seid geradeheraus und zeigt keine Furcht, aber erweist ihnen Ehre. Dann seid ihr auf dem richtigen Weg, um ihre Achtung und ihre Treue zu gewinnen. Das Gute daran ist: Habt ihr euch die Freundschaft eines Rûnländers erst einmal erworben, wird diese unverbrüchlich sein und auch meist seinen ganzen Clan einschließen.« Zaeena schürzte die Lippen und blickte versonnen auf die Landschaft hinaus. »Sie sind schwierige Verbündete«, fügte sie nach kurzem Schweigen hinzu, »aber wertvolle.«
Auril deutete auf den schmutzigen Waffenrock ihrer Mutter. »Wie stehen die Clans zu den Kristalldrachenrittern?«
»Großmeister Ulrik war, genau wie ich, ein Freund von Clanjard Condreth, dem Oberhaupt des Clansrunds, und außerdem ein alter Kampfgefährte von Heymdrahl von Rûn, einer Kriegerlegende in jenen Tagen. Dank ihrer Fürsprache standen uns die Clans im Kampf auf dem Drakenskal bei, obwohl Rûn nicht direkt durch Calvas’ Bestienheer bedroht war. Und wir wussten, dass wir uns immer wieder an sie würden wenden können, solange dieser Bund besteht.«
»Aber Ulrik ist seit vielen Jahren tot«, wandte Auril ein.
»Nun, hoffen wir, dass mein Wort bei Condreth noch immer das Gewicht hat, das es einst besaß.«
»Condreth gibt es nicht mehr.« Der hünenhafte Krieger mit dem schwarzen Vollbart, der vor dem Tor der Halle des Clansrunds Wache schob, machte ein finsteres Gesicht.
Zaeenas Augen verengten sich zu Schlitzen. »Wie meint Ihr das?«, verlangte sie zu wissen.
»Er ist tot. Im Winter gestorben. Mardric, sein Neffe, ist jetzt das Oberhaupt von Clan Urbjasonn und der Clanjard von Wînhall.«
»Aber wie kann das sein?«, fragte Auril, die neben ihrer Mutter stand. »Noch im Herbst kämpfte er mit seinen Mannen an der Seite von
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