Tarzan am Main
Haushaltsgeräten, neuem Herd, neuem Kühlschrank. Er nahm einen Kredit auf und erfüllte die Wünsche seiner Frau. Es verbittert ihn erheblich, dass von seiner Ehe nicht viel mehr übrig geblieben ist als die lähmend langsame Rückzahlung des Kredits. Er ahnt, dass seine Geliebte nur aus Rücksicht auf seinen Eheverdruss das Thema Heirat nicht anschlägt. Aber allzu lange wird diese Einfühlung nicht vorhalten. Es ist verrückt: Es wird der Tag kommen, an dem seine Geliebte geheiratet werden möchte – mit allem, was das bedeutet. Die zweite Ehefrau wird in den Möbeln der ersten Ehefrau nicht leben wollen. Ein zweiter Kredit wird nötig werden. Er hat sich vorgenommen, dann Reißaus zu nehmen, egal wohin. Auf keinen Fall will er gleichzeitig zwei Banken verpflichtet sein. Oder er wird sagen, dass diesmal die neue Frau den Kredit aufnimmt. Aber er weiß auch, dass er nicht die Stirn haben wird, eine solche Bedingung zu stellen. Sein innerer Zwang verlangt von ihm, dass er einer Frau nichts schuldig bleiben möchte. Die Frau bringt ihre Schönheit ein, ihre Jugend, ihren Körper, ihr Entzücken – und er zahlt. Es ist schrecklich: wie in einem verstaubten Fontane-Roman. Er mag kaum glauben, dass sich seither nichts verändert haben soll, aber wenn es eng wird, dann wird er verstummen und sich fügen.
Schon seit längerer Zeit bin ich bereit , mich an mein Verschwinden als Autor und Person zu gewöhnen. Da ich zuerst als Autor meinen Platz räume, werde ich mich zunächst vom Literaturbetrieb abwenden, dann von den übrigen Verhältnissen. Der literarische Rückzug ist nicht ganz freiwillig und geht ungefähr so vor sich: Immer mehr Veranstalter (Buchhandlungen, Universitäten, Festivals etc.) werden abwinken, wenn sie meinen Namen hören. Diesen Autor hatten wir schon öfter, jetzt reicht es. Ein neues Buch wird von mir erscheinen, aber kaum jemand wird sich dafür interessieren. Diesen Leerlauf wird auch mein Verlag bemerken, sogar besonders deutlich. Seit einiger Zeit, sagen wir: seit vier, fünf Jahren, gehen die Umsatzzahlen zurück. Jeder Autor weiß, dass der Verlag seine Bücher verkaufen muss . Wenn der Absatz nicht mehr funktioniert, erhebt sich wie von selbst die Koalitionsfrage. Ich muss also darauf gefasst sein, dass mein Verlag beim nächsten oder übernächsten Manuskript abwinken wird. Danach habe ich zwei Möglichkeiten. 1. Ich kann mir einen kleineren Verlag suchen, der mit meinem alten Ansehen noch einmal punkten will und deswegen auch mein neues Buch druckt, freilich ohne Vorschuss und in einer sehr niedrigen Auflage, sozusagen in der gewinnfreien Zone. 2. Ich kann die Kröte schlucken und mir sagen: Das war meine Laufbahn als Schriftsteller; und künftig von meiner Rente leben, sofern vorhanden. Kommt also eine Art Alterseinsamkeit auf mich zu? Beziehungsweise: Ist sie schon da – und ich habe sie bis jetzt absichtlich nicht bemerkt? Ich las erneut einen berühmten Essay von Gottfried Benn: »Altern als Problem für Künstler«, den ich in meiner Jugend – in meiner Jugend! – mehrfach gelesen habe. Jetzt ließ mich der Essay sonderbar ratlos zurück. Benn interessiert sich für die Zusammenhänge zwischen Alter, Entwicklung und Krankheit; meine Frage kommt bei ihm überhaupt nicht vor. Da traf ich meinen Kollegen M., der ein paar Jahre älter ist als ich und immer noch als freier Schriftsteller lebt. M. machte mich auf einen eigenartigen Sachverhalt aufmerksam, der mir bisher nicht aufgefallen war. Er sagte: Die meisten Bücher sind absehbar erfolglos – und werden dennoch gedruckt. Ich wollte es nicht glauben. Wir sprachen über die aktuellen Bücher von zwei oder drei großen Verlagen, von denen M. zuverlässig wusste, dass sie Zuschussprojekte sind. Auch die Verlage hatten von Anfang an gewusst, dass es sich um Verlustprojekte handelte, behauptete M. Ich behauptete, ich wüsste genau, dass die einzelnen Titel durchkalkuliert seien und dass sie nicht erscheinen würden, wenn sie sich nicht rechneten. M. erwiderte, die Bücher seien tatsächlich durchkalkuliert, aber sie erscheinen auch dann, wenn sie sich nicht rechneten. Kein Verlag, sagte er, druckt nur erfolgreiche Bücher. Er druckt ein paar gutgehende Titel, die die anderen, die sich nur schleppend verkaufen, »mitziehen«. Die erfolglosen, oft nur guten Bücher bringen dem Verlag etwas Unbezahlbares, nämlich einen guten Ruf, ein sogenanntes Renommee. Erkundige dich bei deinem Verlag, sagte M. Das trau ich mich nicht, antwortete
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