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Tarzan am Main

Tarzan am Main

Titel: Tarzan am Main Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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ich. Aber wieso denn? Wirtschaftsfragen sind Unterleibsfragen, sagte ich. M. lachte.

Ich achte darauf , öffentliche Großstadttoiletten nicht benutzen zu müssen. Aber niemand hat, trotz aller Selbstbeobachtung und Selbstbeherrschung, seine Verdauung völlig im Griff. Irgendwann, in der Nacht auf dem Heimweg zum Beispiel, nötigt uns der Körper, eine dieser Horrortoiletten frequentieren zu müssen. Obwohl wir wissen, was uns erwartet, werden wir, sind wir erst an Ort und Stelle, von einem doch wieder neuen Schrecken heimgesucht. Ist es der Schmutz, die Verkommenheit, der Geruch, das Elend der Körperflecken, das eingetrocknete Blut oder die plötzliche Verlassenheit, die aus den Einzelheiten hervorgeht? Oder gibt es eine Erfahrungsmitte, einen Zentralschrecken, der uns momentweise zu einem psychischen Krüppel macht? Die Zelle besteht aus einem länglichen, schmalen Gang und ist – in den meisten Fällen – mit einmal weiß gewesenen Kacheln ausgeschlagen. Die Kacheln sind vermutlich eine Art Notwehr gegen die Verschandler gewesen, die hier ihre große halbe Stunde erleben – oder erleben würden, wenn die Wände normale Wände wären und beschriftet beziehungsweise bemalt werden könnten. So aber ist die Toilette (wie eine Gefängniszelle) rundum mit abwehrbereiten Platten ausgestattet, die jeden Filzstiftangriff überleben. Mit einer Ausnahme: die Tür. Sie ist nicht verkachelt, sie ist aus Holz oder Presspappe, sie kann bemalt und beschmiert werden. Wer hier seine Notdurft verrichtet, muss lesen, was dem deutschen Schlichtmann in einer Toilette so einfällt. Dabei ist es immer dasselbe: weit offene weibliche Geschlechter, die gerade von einem großen männlichen Organ penetriert werden. Nein, noch peinlicher sind die Bekanntschaftsanzeigen, die neben den Zeichnungen untergebracht sind. Bildhübscher Schwuler hält jederzeit seinen Arsch hin (Telefon…). Sabine, 13, lässt sich in den Mund ficken. (Telefon …). Plötzlich ertönt eine Art Glücksmusik aus einem winzigen Lautsprecher. Sie erinnert mich an die schmusigen Töne von Billy Vaughn oder James Last aus den sechziger Jahren. Offenbar ist die Musik als Versöhnungsangebot gemeint. Das Erhabene in der Moderne entsteht durch den ungeplanten Zusammenprall von Elend und Kitsch. Natürlich ist dieses Erhabene nicht wirklich erhaben. Es ist die Erhabenheit des Bedrängtseins und der Überforderung. Hat das schon mal jemand untersucht? Ich würde den Ort gerne länger studieren, aber ich halte ihn nicht länger aus, ich muss fliehen, sofort.

So gegen 18.00 Uhr , wenn der Druck des Tages langsam nachlässt, kann man dabei zuschauen, wie die Leute ein bisschen merkwürdig werden, weil auch ihnen der Tag zu lang wird. Ältere Ehepaare sinken merkwürdig gemeinsam auf die Bänke nieder. Ein Mann legt sich auf die Holzverkleidung einer Mauer und holt sein Cognacfläschchen aus der Hosentasche. Ein anderer Mann nähert sich einem Weinausschank. Man macht hier Werbung für badischen Wein. Eine junge Frau in badischer Tracht öffnet eine Flasche und nickt dem Mann freundlich zu. Er wendet sich der Frau zu, die ihm prompt ein Gläschen einschenkt. Der Mann macht ein paar Schritte und trinkt das Gläschen rasch leer. Die Frau erkennt die Hemmung des Mannes und winkt ihm ein bisschen mit der Flasche. Mit dem zweiten Glas lässt er sich auf einer Bank nieder. Er fängt an, die Taschen seiner Hose, seines Sakkos und außerdem seine Brieftasche nach überflüssigen Zetteln, Quittungen, Coupons und Gutscheinen abzusuchen. Die Papiere zerreißt er nicht, sondern schiebt sie mit dem Zeigefinger in die Zwischenräume zwischen den Holzplanken der Bank. Vermutlich würde er gern ein drittes Glas trinken, aber jetzt ist seine Hemmung wieder stärker. Die nette Frau nimmt den Blickkontakt diesmal nicht mit ihm auf. Der Mann hebt sein leeres Glas noch einmal an die Lippen, aber es ist wirklich leer. Er steht auf und geht doch noch mal zum Ausschank. Jetzt ist zu sehen, dass der Mann ein bisschen wankt. Es ist völlig in Ordnung, dass ihm die Frau nicht noch einmal nachschenkt. Eine Spur beleidigt zieht der Mann von dannen. Ich gehe zum Ausschank und lasse mir ebenfalls ein Gläschen einschenken. Als der Mann verschwunden ist, nehme ich dort Platz, wo er gesessen war. Ich drehe mich ein wenig so, dass die Frau im Ausschank nicht sehen kann, dass ich mit den Fingern nach den Zetteln, Quittungen, Coupons hakle, die der Mann in die Ritzen der Bank eingeschoben hat. Es sind

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