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Tarzan am Main

Tarzan am Main

Titel: Tarzan am Main Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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dass es für ihn keinen Sinn hat, weitere Manuskripte zu verschicken. Die Verlage antworten nicht, ja, sie senden nicht einmal die ihnen überlassenen Manuskripte zurück. Ein Skandal, finden Sie nicht auch?! Er, der ungedruckte Autor, muss sein Manuskript als verschollen aufgeben, die Lage ist niederschmetternd. Nein, nicht ganz. Denn eben hat er ja mich kennengelernt, einen Autor des von ihm so geschätzten Verlags. Ich spüre, wie mir der ungedruckte Autor sein Manuskript unter den linken Arm schiebt und sich bedankt. In früheren Jahren habe ich mir solche Manuskripte tatsächlich aufdrängen lassen. Ich habe die Manuskripte drei Wochen zurückbehalten und habe sie dann zurückgeschickt. Das war ein Fehler. Ich hatte dem Autor das Gefühl gegeben, sein Werk sei von irgendwem »geprüft« worden. Nicht selten bringt der Postbote – weiß der Himmel, woher die Absender meine Adresse haben – ein neues Päckchen und bittet wieder um »Prüfung«. Im Bewusstsein vieler Ungedruckter hat sich die Fiktion festgesetzt, ein publizierender Autor sei eine Art Außenstelle seines Verlags und mit bedeutsamen Vollmachten ausgestattet. In der Regel schicke ich Manuskripte sofort und ungelesen zurück; beigelegt ist ein kurzer Formbrief, in dem zu lesen steht, dass sich kein Autor um die möglicherweise misslingende oder sonstwie enttäuschende Erstbegegnung mit einem Verlag herumdrücken könne und dass ich keine weiteren Manuskripte erhalten möchte. In hartnäckigen Fällen verweigere ich die Annahme der Sendung. Es ist allerdings schon passiert, dass ein Autor eines zurückgeschickten Romans bei einer Lesung wieder auftaucht und sich beschwert. Ich mache darauf aufmerksam, dass es viele Möglichkeiten gibt, seine narzisstischen Bedürfnisse zu befriedigen. Niemand muss Schriftsteller werden.

Am Stadtrand , wo Frankfurt seine Hektik verliert und leer und gemütlich wird, gibt es auch kleine Geschäfte und die dazu passende Kundschaft. Wenn meine Arbeit über die Maßen problematisch wird und ich nicht recht weiterkomme, gehe ich dort spazieren und sammle Anblicke eines geruhsameren Lebens, von dem ich hoffe, dass es sich auf mein Schreiben auswirken wird. Zum Beispiel die Verkäuferinnen in fast noch ländlichen Bäckereien. Sie sind noch sehr jung und das tägliche Arbeiten noch nicht gewöhnt. Vermutlich können sie sich nicht recht erklären, warum sie plötzlich nicht mehr in der Schule sind und stattdessen tagtäglich Brot, Brötchen und Kuchen verkaufen. Eines der Mädchen hat in einem Brotregal einen altertümlichen Kassettenrecorder (gibt es das Wort noch?) versteckt. Wenn der Laden leer ist, drückt das Mädchen die Play-Taste, setzt sich auf den Stuhl neben der Kommode und hört die Platters. Erst vor einer Woche habe ich ihr gesagt, dass sie den Kassettenrecorder wegen mir nicht abstellen muss. Wenn ich mich nicht täusche, hat sie sich gefreut. Dennoch hat sie gewartet, bis ich den Laden wieder verlassen hatte, ehe sie den Recorder wieder einschaltete. Wahrscheinlich hat sie mir doch nicht ganz vertraut. Nicht weit von der Bäckerei gibt es einen ebenso kleinen Friseur-Salon, in dessen Schaufenster fast täglich eine Katze liegt. Das Schaufenster ist schmal, die Katze liegt der Länge nach hingestreckt zwischen Spraydosen, Reklameschildchen und Parfümfläschchen. Mit den Hinterpfoten berührt die Katze die Wand links, mit den Vorderpfoten die Wand rechts. Am schönsten ist, wenn sich ihr Fell durch regelmäßiges Atmen leicht öffnet und wieder schließt. Ich wundere mich, dass nicht mehr Leute vor dem Schaufenster stehen bleiben. Nein, eigentlich ist es mir recht, dass nur ich es tue. Ich habe festgestellt, dass ich leider ein wenig eifersüchtig werde, wenn ich einen schönen Anblick mit anderen Menschen teilen soll. In diesem Fall habe ich Glück. Die meisten Leute, die zu dieser Stunde vorübergehen, haben entweder keine Zeit, oder sie finden eine Katze im Schaufenster nicht bemerkenswert.

Wiedererkannt habe ich sie an einer Angewohnheit, die sie schon mit neunzehn hatte: Sie zupfte sich leidenschaftlich mit Daumen und Zeigefinger an ihren Ohrläppchen. Sogar im Konzertsaal oder im Theater, fein zurechtgemacht, konnte sie von ihrer Unart nicht lassen. Sie saß ruhig auf ihrem Stuhl, lauschte konzentriert, und zupfte sich. Die Leute ringsum schauten ihr schon zu, es machte ihr nichts aus. Ich liebte sie mit der ausweglosen Unwissenheit eines Zwanzigjährigen. Mehrmals hatte ich ihr schon gesagt, dass sie

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