Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
Beuteanzahl vermindert die Anzahl des zugehörigen Räubers, es tritt also eine Umkehr der Regulation von der Räuber- und Beutepopulationsgröße ein.
Lotka-Volterra-Modelle vereinfachen natürliche Räuber-Beute-Interaktionen in verschiedener Hinsicht. Trotzdem können ihre Charakteristika in Laboruntersuchungen von Räuber-Beute-Paaren gut nachgewiesen werden (Abb. 3. 25a ). Populationen in natürlichen Ökosystemen (Abb. 3. 25 ) weisen dagegen oft wesentlich komplexere Schwankungen auf, die sich durch komplexere Phasendiagramme mit wechselnden Phasenverschiebungen auszeichnen.
Abb. 3. 25 Räuber-Beute-Systeme. a Populationsschwankungen von Räuber und Beute im Laborversuch. Dargestellt ist die Populationsgröße der räuberischen Milbenart Typhlodromus occidentalis (rechte y-Achse) und ihrer Beute, der Spinnmilbenart Eotetranychus sexmaculatus (linke y-Achse). b Räuber-Beute-System in der Natur. Felduntersuchungen von Räuber-Beute-Systemen zeigen nur selten so gleichmäßige, zeitversetzte Fluktuationen, wie es das Lotka-Volterra-Modell voraussagt. Das Beispiel zeigt fluktuierende Dichtekurven des Kanadaluchses und seiner Beute, dem Schneeschuhhasen. (Nach a: Huffacker, 1963; b: Hachulich, 1937.)
Das gilt auch bei der Übertragung der Vorstellung des Räuber-Beute-Modells auf andere natürliche Systeme, z. B. Parasit-Wirt-Systeme (Abb. 3. 26 ). Für diese Abweichungen vom Modell gibt es verschiedene Erklärungen. So hängen die Dichte von Räubern und Beute auch von Umweltfaktoren ab, die ebenfalls häufig schwanken und in Nahrungsnetze eingebettet sind, in denen die oszillierenden Populationen noch vieler anderer Arten aneinander gekoppelt sind. Auch sind Populationen oft Teil von großen Metapopulationen, in denen extreme Populationsabnahmen oder Zunahmen innerhalb der Teilpopulationen durch Wanderbewegungen ausgeglichen werden ( Siehe hier ).
Abb. 3. 26 Parasit-Wirt-System. Parasit-Wirt-Systeme zeigen im Modell ähnliche zeitversetzte Fluktuationen wie Räuber-Beute-Systeme, in Felduntersuchungen sind die Schwankungen weniger deutlich. Dargestellt ist der Befall des Schottischen Moorschneehuhns ( Lagopus lagopus scoticus ) mit dem parasitischen Fadenwurm ( Trichostrongylus tenuis ). (Nach Potts, 1984.)
Klassische funktionelle Reaktionen von Holling
Eine weitere wichtige Vereinfachung des Räuber-Beute-Modells besteht darin, dass die linearen Interaktionsterme auf der Annahme beruhen, dass sich die Konsumptionsrate des Räubers, d. h. die Anzahl gefressener Beutetiere, nicht mit der Dichte der Beute verändert. Diese Annahme ist analog zu der Annahme einer konstanten Wachstumsrate beim exponentiellen Wachstum ( Siehe hier ). Eher den natürlichen Verhältnissen entspricht die Annahme, dass sich die Sättigungsrate mit der Dichte ändert und das es eine maximale Konsumptionsrate gibt. Diese Bedingungen liegen den Modellen der funktionellen Reaktion (functional response) zugrunde. Sie beschreiben die Abhängigkeit der Konsumptionsrate eines Räubers von Veränderungen der Beutedichte (Abb. 3. 27 ). Klassische Arbeiten von Holling haben drei Typen der funktionellen Reaktion ergeben, die jeweils auf der Angriffsrate und der Handhabungszeit basieren. Während die Angriffsrate (attack rate) v. a. durch die Sucheffizienz bestimmt wird, beinhaltet die Handhabungszeit (handling time) die Zeit für die Überwältigung, den Verzehr und die Verdauung eines Beutetieres.
Abb. 3. 27 Die drei Typen der funktionellen Reaktion.
Bei Hollings funktioneller Reaktion vom Typ 2 ist der Anstieg der Konsumptionsrate mit der Beutedichte nicht linear, sondern wird mit zunehmender Dichte schwächer und nähert sich allmählich dem Maximum an (Abb. 3. 27b ). Dieser Verlauf kommt zustande, da die Suche nach Nahrung bei geringer Beutedichte zunächst einen großen Teil des Zeitaufwandes benötigt, die Angriffsrate bei niedriger Beutedichte also zunächst ebenfalls niedrig ist. Mit zunehmender Dichte nimmt der Zeitaufwand für die Nahrungssuche ab, und die Tiere sind immer mehr mit der Handhabung der Nahrung beschäftigt. Das Maximum ist erreicht, wenn bei einer hypothetischen, unendlich hohen Beutedichte keine Suche nach Beutetieren mehr nötig ist. Die maximale Konsumptionsrate, d. h. die maximale Zahl der Beuteindividuen, die verzehrt werden können, wirddann alleine durch die Handhabungszeit bestimmt. Ihre Höhe entspricht dann dem Kehrwert der Handhabungszeit. Die funktionelle Reaktion vom Typ 2 ist in dem System von Holling
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