Tastenfieber und Liebeslust
eben sein Schwulsein verdrängt, war verklemmt oder hatte eine Mauer aufgebaut. Wenn die Theorie nicht klappt, dann ist eben der Mensch nicht in Ordnung. Diese Leier kenne ich bis zum Erbrechen. Nicht nur von gestern, sondern aus vielen, vielen Gesprächen in den letzten 30 Jahren.
Also nimm mich in Zukunft bitte so, wie ich bin, und versuche nicht, die Sterne, meine frühkindlichen, präpubertären oder sonstigen Erfahrungen für irgendwelche heutigen Reaktionen heranzuziehen. Aus Miniinformationen gleich Theorien und Erklärungen für den Einzelfall zu entwickeln, ist in der Wissenschaft unseriös. Deshalb war ich vorhin auch so ungehalten, weil ich diese unstrukturierte und inkompetente Unterhaltung nicht mehr ertragen konnte. Ich entwickle keine großen Theorien über Deine Kindheit, Dein Berufs- oder Privatleben, obwohl ich unsinnigste formulieren und auch gut begründen könnte.
Ich bitte Dich – aus Gründen des wechselseitigen Respekts, der Achtung und Liebe – mich in Zukunft mit diesem Gequatsche genauso in Ruhe zu lassen, wie ich Dir keine Ratschläge zum Klavierspielen geben werde. Ich denke, jeder sollte sich auf das beschränken, was er kann. Im Kern: Urteilt nicht über Dinge, von denen Ihr nichts oder zu wenig versteht. Ich bitte Dich, über diesen Brief etwas nachzudenken und auch mit Regina darüber zu sprechen.
Dein Schlingelchen mit gelegentlichen Ausfällen
26. Juli – 04:29 Uhr
Mein Liebster,
es war schön bei Dir. Regina fand Dich sehr sympathisch. Ich umarme Dich, liebe Dich und möchte bei Dir sein.
Eva
26. Juli – 10:32 Uhr
»Es war schön bei Dir« – Trotz meiner aggressiven Ausfälle? Danke, und ich bin erfreut, wenn Du es so siehst. Leider hatte ich mir gerade in dem Moment, als Du mir diese Mail zusandtest, meinen Frust und Ärger vom Hals geschrieben. Nimm die Mail bitte nicht tragisch.
Ich liebe Dich ja auch, selbst wenn ich Deine Urteile und Beurteilungen manchmal etwas hart und vorschnell finde. Aber Deine Beschreibungen von Menschen sind schon etwas Besonderes, und da kann ich viel von Dir lernen. Ich wünsche Euch einen schönen Tag, vor allem Regina Erfolg in Babelsberg! Bis heute Abend: Ecke Kantstr./Wilmersdorfer Str.
Dein Max
26. Juli – 11:34 Uhr
Mein liebes Evachen,
heute habe ich so richtig gut durch- und ausgeschlafen. Ich hoffe, es wird ein produktiver Tag. Meine vielen Verehrerinnen haben sich auch aus dem Staub gemacht – einige haben sich noch etwas verbittert geäußert – sodass ich nun weniger Zeit mit der Beantwortung von Mails unbekannter Damen verlieren werde.
Hier der Text, der so abschreckend gewesen war. Insgesamt aber ist erstaunlich, wie groß die Zahl der Suchenden ist. Ich hatte wegen meines arroganten Anzeigentextes nicht erwartet, dass sich so viele Damen melden würden.
Liebe …
mit meiner Art, zu schreiben, komme ich nicht weiter. Sie haben mir sehr nett geantwortet. Aber alle anderen Damen auch. Ich kann nun nicht bis zum St. Nimmerleinstag eine anregende Korrespondenz mit den vielen Opafreundinnen führen. Ich glaube, ich komme einfach deshalb nicht weiter, weil ich bisher nur rumblödelte.
Ich möchte mich deshalb mal seriös beschreiben (was mir sehr, sehr schwerfällt!), damit Sie selbst Ihre Entscheidung – weiterschreiben oder hoffnungsloser, uninteressanter Fall – treffen können. Es ist mir ohnehin angenehmer, wenn die Dame eine Entscheidung trifft, denn ich möchte niemanden verletzen.
Rumblödeln, im Kern nichts oder wenig ernst und wichtig nehmen, – ich selbst sehe dies mehr als Gelassenheit – ist einer meiner typischen Wesenszüge. Für mich ist das Glas immer (fast) randvoll.
Ich bin vor über zwei Jahren fürchterlich finanziell auf die Nase gefallen, bis zu Hartz IV durchgerutscht, und dieses Desaster hat mein Gemüt überhaupt nicht betroffen. Ich war dankbar für die beeindruckende Solidarität unserer Gesellschaft, die mich so großzügig unterstützte, damit ich essen und mich kleiden konnte, eine Wohnung hatte und krankenversichert war.
Alle für mich wichtigen Dinge, wie Lesen, Musik hören, sich mit Freunden und Kindern treffen etc. waren mir ja verblieben. Reisen, Häuser und viele andere wirtschaftlich aufwendige Wünsche konnte ich mir natürlich nicht leisten, aber diese Wünsche rangieren bei mir auch unter unwichtig für Glück und Lebensfreude. (Aus dieser Hartz-IV-Situation bin ich wieder raus, aber ein Krösus werde ich nicht mehr).
Für mich und
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