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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
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dass es klug wäre, wenn Viktor und ich sie vorab einmal durchsehen.«
    »Sergei hat mir die Notizen unter der Bedingung überlassen, dass ich niemandem Einblick gewähre.«
    »Dann sag mir wenigstens, ob Grischa Grigorenko darin erwähnt wird.«
    »Ich kann’s dir nicht sagen.«
    »Oder Kaliningrad.«
    »Wieso Kaliningrad?«
    »Weil es immer wieder auftaucht. Ich bezweifle nicht, dass Sergei Obolenski ein hervorragender Chefredakteur ist, doch es besteht die Möglichkeit, dass er auch, sagen wir mal, kreativ auf Kosten seiner Autoren ist.«
    Anja schob sich vom Tisch weg. »Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
    »Wie bei der Demonstration?«
    »Vielleicht, aber das ist meine Entscheidung. Das hat nichts mit dir zu tun. Weißt du, Arkadi, wenn dir daran gelegen war, stärker in mein Leben einbezogen zu werden, dann hast du deine Chance gehabt.«
    Das, fand Arkadi, würde jeden Mann zum Schweigen bringen.
    Die Christ-Erlöser-Kathedrale war der Nachbau einer Kirche, die Stalin hatte sprengen lassen, um Platz für eine Statue von Lenin zu schaffen, der in die Zukunft wies, nur wurde die Statue nie errichtet, und die sowjetische Zukunft fand auch nie statt. Die neue Kathedrale war ein weißes Zuckerwerk mit goldenen Zwiebeltürmen. Grischa Grigorenko hatte die Kosten für einen der Türme übernommen und sich diese Investition durch einen fürstlichen Trauergottesdienst zurückzahlen lassen.
    Arkadi zog verrußte Rattenlochkirchen vor, mit alterskrummen Popen, deren Bärte bis zum Boden hingen. Babuschkas besuchten die Kapellen ihrer Lieblingsheiligen, standen auf Zehenspitzen, um geliebte Bücher und Ikonen zu küssen. Sie kauften dünne Kerzen für einen, fünf oder zehn Rubel, je nach Länge. Arkadi dachte, wenn er eine Kerze für jeden anzünden würde, dem Grischa Schaden zugefügt hatte, würde die Kathedrale in Flammen aufgehen.
    Er verstand, warum Maxim die Kathedrale als Treffpunkt gewählt hatte, denn sie war einer der wenigen Orte, von denen aus man einen vollkommenen Rundblick auf die Stadt hatte. Mit anderen Worten, man konnte sofort sehen, wer kam. An der Tür gaben Zigeunerinnen Säuglingen die Brust. Bettler hielten die Hand auf. Touristen waren in ihre Reiseführer vertieft, während Babuschkas mit Poliertüchern um die Füße vorbeiglitten. Ikonen von Heiligen, Propheten und Aposteln bedeckten die Wände, selbst die Ärmsten noch in Goldrahmen. Die meisten Figuren spendeten einen matten Segen, und ihre Flachheit vermittelte den Eindruck, in einem Kartenhaus zu sein.
    »Die heilige Pelagia. Eine meiner Lieblingsmärtyrerinnen.« Maxim deutete mit dem Kopf auf die Ikone eines Mädchens, das stoisch im Feuer stand. »Durch das Rösten in einem Bronzestier wurde sie zu Tode gemartert. Schutzpatronin der Köche, oder sollte es sein.«
    »Sie scheinen sich ja mit Heiligen gut auszukennen«, meinte Arkadi.
    »Und Sündern. Ich kannte Ihren Vater. Was für ein Dreckskerl.«
    Dem konnte Arkadi kaum widersprechen. Sein Vater war Armeeoffizier gewesen und hatte sich nie an den Frieden gewöhnen können. Er war der Letzte, über den Arkadi reden wollte.
    Maxim ging an der Wand entlang. »Hier ist noch einer meiner Lieblinge, der heilige Phanourios. Zuerst gesteinigt, dann gestreckt und ausgepeitscht, auf ein Foltergestell gespannt, zerquetscht und mit Kohlen versengt. Klingt wie Sie.«
    »Ich hoffe nicht.«
    »Sie sollten sich von Zeit zu Zeit mal richtig anschauen.«
    Maxim selbst verdiente mehr als einen Blick. Als Junge hatte Arkadi Abenteuergeschichten aus dem Wilden Westen verschlungen. Ihn hatte es nicht im Geringsten gestört, dass die Autoren nie in Amerika gewesen waren, und Maxim, mit seinen schmalen Augen, der Wildlederjacke und dem Pferdeschwanz besaß einen draufgängerischen Charme. Zwei der Bodenpoliererinnen starrten ihn an und flüsterten hinter vorgehaltener Hand wie Teenager.
    »Hier ist es ein bisschen zu öffentlich«, meinte Arkadi.
    »Ach, niemand achtet auf uns. Die sind alle in ihrer eigenen Welt, geben sich tief religiösen Gedanken hin. Die Kirche ist ein totes Telefon. Obwohl die Leute es wissen, nehmen sie den Hörer ab und lauschen. Haben Sie gelauscht?«
    Arkadi fragte sich, ob Maxim auf Tatjanas Kassetten anspielte, die er sich bis spät in die Nacht angehört hatte. Doch Maxim fügte hinzu: »Die Akustik einer Kirche wie dieser trägt Geflüster durch die Luft.«
    »Klingt sehr poetisch. Worüber wollten Sie mit mir reden?«
    »Schauen Sie sich die Wandbilder hier an. All das

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