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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
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oder Supermodels dazu bringen würde, ihn anzuschmachten. Eine Tarnjacke hing schwer auf seinen Schultern, sein Haar war zerzaust und sein Gesicht verkniffen, wettgemacht nur durch die Leuchtkraft in seinen grauen Augen.
    Am unheimlichsten fand Arkadi jedoch, dass es Schenja gelang, die Wohnung zu betreten und in die Küche zu kommen, ohne gehört zu werden. Bei allen anderen knarrte der Parkettboden.
    »Wie geht es dir?«
    Schenja reagierte, als hätte Arkadi die dämlichste Frage gestellt, die je aus dem Mund eines Menschen gekommen war. »Was ist das?«
    »Ein Notizbuch zum Dolmetschen.«
    »Was auch immer das sein mag.« Schenja schnippte den Deckel hin und her.
    »Code. Ein persönlicher Code, geschrieben von einem Toten.«
    »Oh. Worum geht es da?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ist er deswegen getötet worden?«
    »Kann sein. Hast du Hunger?«
    »Im Kühlschrank ist nichts. Hab schon nachgesehen. He, du hast mir nie erzählt, wie berühmt dein Vater war. Die Typen von der Armee wurden ganz aufgeregt.«
    »Sie können aufgeregt bleiben, bis du achtzehn bist.«
    »Das ist so eine Scheiße. Wer hat dir das Recht gegeben, mich herumzukommandieren?«
    »Das Gericht, damit du in der Schule angemeldet werden konntest.«
    »Ich hab die Schule geschmissen.«
    »Hab ich bemerkt.«
    »Nein, ich hab sie wirklich geschmissen. Ich bin zur Registratur gegangen und hab’s denen gesagt, also kann ich nichts anderes machen, als mich frühzeitig zum Wehrdienst zu verpflichten.«
    »Nicht ohne meine Unterschrift. Sieben Monate. Du musst einfach warten, bis du verrückt werden kannst.«
    »Du schiebst es nur hinaus.«
    »Das stimmt.«
    »Weißt du, wie alt Alexander der Große war, als er die Welt erobert hat? Neunzehn.«
    »Ein frühreifer Knabe.«
    »Weißt du, wer sein Lehrer war?«
    »Wer?«
    »Aristoteles. Der hat ihm gesagt, er solle die Welt erobern.«
    »Vielleicht hat er nur gemeint, er solle reisen.«
    »Du bist unmöglich.« Das war der Punkt, an dem Schenja normalerweise kehrtmachte und hinausstürmte. Diesmal plumpste er auf einen Stuhl und ließ seinen Rucksack fallen. Er hatte immer ein klappbares Schachbrett, Figuren und eine Schachuhr dabei, wurde jedoch als Zocker zu bekannt. Er sah nicht mehr unschuldig aus. Vielleicht hatte er nie unschuldig ausgesehen, dachte Arkadi. Vielleicht war das bloß seine Fantasie.
    »Was weißt du über Fahrräder?«
    »Fahrräder?« Als hätte Arkadi ihn nach Shetlandponys gefragt. »Ich weiß, dass man ein Idiot sein muss, um hier in Moskau bei dem ganzen Verkehr Rad zu fahren. Warum, hast du dir überlegt, eins zu kaufen?«
    »Eins zu finden.«
    Schenja griff nach dem Notizbuch und blätterte träge darin herum. »Was hat es denn nun mit diesem Gekritzel auf sich?«
    »Das ist ein Code, Hieroglyphen, Anagramme, Rätsel und Schlimmeres, weil es dazu gedacht ist, nie gelöst zu werden. Es gibt keinen Stein von Rosette, keinen Zusammenhang. Da drin könnte es um den Preis von Bananen gehen, aber wenn wir das Symbol für ›Bananen‹ nicht kennen, sind wir verloren. In diesem Fall könnten Fahrräder vielleicht der einzige Zusammenhang sein.«
    »Klingt nicht, als wärst du sehr weit gekommen.«
    »Man kann nie wissen.«
    »Wie tiefsinnig. Ist noch Milch da?« Schenja hievte sich in Richtung Kühlschrank hoch.
    »Schau selber nach.« Ein Psychologe hatte Arkadi mal gesagt, dass Schenja Trennung schwerfalle. Arkadi fiel es immer schwerer, ihm das abzukaufen. »Also, was weißt du über teure, maßgefertigte Fahrräder?«
    »Genauso viel wie du.«
    »Zu dumm, denn ich weiß überhaupt nichts.«
    »Dann bist du gearscht, was? Na ja … ich wollte sowieso nur ein paar Klamotten holen.«
    Das diente Schenja als Hallo und Auf Wiedersehen.

9
    W enn Arkadi den Laptop auf seinem Schreibtisch öffnete, kam er sich immer vor wie ein Pianist, der beim Platznehmen vor dem Flügel erkennt, dass er keine Ahnung hat, welche Tasten er anschlagen soll. Er spürt, wie das Publikum unruhig wird, fängt den panischen Blick des Dirigenten auf, hört Geflüster unter den Streichern. Betrüger!
    Arkadi gab »Kaliningrad Dolmetscher« ein. Dabei stellte sich heraus, dass Dolmetscher in Kaliningrad auch als Begleitservice dienten, was ein bisschen zu allgemein war. Er versuchte es mit »Kaliningrad Konferenzdolmetscher« und erfuhr, dass demnächst Konferenzen zu »Immanuel Kant heute«, »Gefährdete Weichtiere in der Ostsee«, »Freundschaft mit Nordkorea«, »Gutes Einvernehmen mit Polen«, »Willkommen

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