Tatjana
ich schon sagte, Ludmilla ist eine schwierige Frau.«
Arkadi blieb zwischen den Tomatenpflanzen stehen. Er hatte mit Ludmilla Petrownas Wut gerechnet oder zumindest mit Neugier wegen des Todes und der schlechten Behandlung ihrer Schwester.
»Sie können noch den Abendflug nach Moskau erwischen«, meinte Maxim. »Schade, dass Sie den ganzen Weg umsonst machen mussten. Was ist das?«
Arkadi winkte ihn zu sich, und die beiden standen vor einem kleinen Hundehaufen, der sich im Regen verflüssigte. Schlagzeilen schossen ihm durch den Kopf. Scheiß-brigade ausgerückt. Hundehaufen in Gemüsegarten entdeckt. Beweise im Platzregen verloren.
Das war zwar kein Nichts, kam dem aber lächerlich nahe.
19
I hr Name war Lotte. Diesmal ließ sie Schenja nicht vom Haken. Ihr gegenüber mit einem Bauern im Rückstand zu sein, war ein langsamer Abstieg ins Grab. Er wusste, was sie tun würde, konnte sie aber einfach nicht aufhalten. Am Ende der Partie waren ihre Wangen gerötet, und Schenja war verschwitzt wie ein Ringer. Mr. Stanford war gegangen. Fast alle Zuschauer waren fort, weil sie mit einem schnellen Sieg von Lotte gerechnet hatten und die Partie sich bis in die Vorlesungszeit hineingezogen hatte. Für Schenja war es seit Wochen die erste Partie, die er verloren hatte, und doch war er seltsam beschwingt.
Sie wohnte in einem künstlerischen Haushalt gegenüber dem Konservatorium, in dem Musik durch alle Stockwerke tönte. Ihr Großvater war Wladimir Sternberg, der berühmteste Porträtmaler seiner Zeit. Sternberg hatte sich schlauerweise dazu entschlossen, nur eine einzige Person zu porträtieren: Stalin. Stalin bei einer Rede vor dem Sechzehnten Sowjetkongress, Stalin bei einer Rede vor dem Siebzehnten Sowjetkongress und so weiter, und so weiter. Er malte Stalin ein bisschen größer, etwas kräftiger, ohne den verkrüppelten Arm und nie, niemals neben einem anderen Parteiführer, diesen einfältigen Halbtyrannen, die früher oder später aus Bildern entfernt wurden und in eine Zelle marschierten. Sternberg mied sie, als wären sie ansteckend, während die Statur des Geliebten Führers immer mehr an Format gewann, bis er nur noch von silbrigen Wolken und den Strahlen einer leuchtenden Sonne umgeben war.
Sternberg, der aus kaum mehr als Knochen und blau geäderter Haut bestand, trug einen Morgenmantel und Pantoffeln, manövrierte sich aber in seinem Korbrollstuhl geschickt zwischen mit Tüchern verhängten Staffeleien hindurch. Kleinere Kunstwerke, ebenfalls abgedeckt, hingen an der Wand.
»Lotte, Herzchen, bring diesem jungen Mann eine Tasse Tee. Du hast ihn in die Mangel genommen.«
Schenja nahm das Stichwort auf und setzte sich.
»Lotte hat mir alles von dir erzählt«, sagte Sternberg.
Schenja wusste nicht, wovon der Maler redete. Er war immer noch verblüfft, dass Lotte ihn überhaupt wahrgenommen hatte, und kam sich so fehl am Platz vor wie ein versehentlich durchs offene Fenster hereingeflogener Vogel. Er hatte auf einer Matratze hinter einer Spielhalle genächtigt, auf der er bis spät in die Nacht das Rattern der Maschinengewehre und das Zischen der Raketen ertragen musste. Im Vergleich dazu standen die Staffeleien still und ernst unter ihren Abdecktüchern. Paletten und Tische waren mit Farbe bedeckt. Ihm war nie aufgefallen, dass Farbe roch. Noch nie hatte er Tücher gesehen, die so mysteriös wirkten.
»Na los, schau es dir an«, sagte Sternberg.
»Welches?«
»Ganz egal.«
Vorsichtig zog Schenja ein Tuch von einer Staffelei und trat zurück, um das Gemälde zu betrachten. Stalin winkte, wobei nicht klar war, wem oder warum, nur dass er hinab auf sein Volk blickte. Schenja enthüllte ein zweites Porträt und ein drittes, jedes mit dem kraftvollen Pinselstrich der Propaganda gemalt. Stalin war ein Verwandlungskünstler, mal in Armeegrün, dann wieder in weißer Sommeruniform, und immer winkend.
»Davon konnte ich fünf am Tag malen«, sagte Sternberg.
Schenja nahm an, das sei »ziemlich gut«.
»Gut?« Sternberg fuhr fast aus dem Rollstuhl hoch. »Das ist schneller als die Schule von Rubens. Natürlich lag der Markt für Stalin eine Weile brach.«
Lotte reichte Schenja den Tee und flüsterte: »Frag meinen Großvater nach seinen anderen Bildern.«
»Das interessiert ihn nicht«, sagte Sternberg.
»Von mir aus«, meinte Schenja.
»Die sind nicht interessant. Ich habe sie privat gemalt.«
»Schau.« Lotte enthüllte ein Bild von einem Dorf zwischen blauen Schneewällen.
Das Ganze stellte eine
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