Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
Sie versucht eine weitere halbe Drehung, den Blick angestrengt in die Dunkelheit gerichtet, bis sie in einiger Entfernung in Kopfhöhe oder darüber ein kleines, rotes Pünktchen ausmacht.
Sie schnauft erleichtert durch, obwohl der leuchtende Punkt ihre Lage in keiner Weise sofort bessert. Plötzlich fällt ihr die Überwachungskamera ein. Sofort zermartert sie sich das Hirn: Wo war die Kamera angebracht? Was war in der Nähe der Kamera? Wie weit von der Eingangstür war sie entfernt, als sie die Kamera entdeckte? Die Fragen schwirren wie Bienen vor ihrem Stock durcheinander, nur dass sie keinen Zugang zur Erinnerung finden. Streng dich an, Ulla, überlege. Es muss dir einfallen. Dein Leben hängt davon ab. Sie schließt die Augen, versucht sich den Raum und seine Einrichtung ins Gedächtnis zu rufen.
Nach einer Weile fällt ihr ein, dass die Kamera über den Gefrierschränken an der Decke schwebte. Sie war zurückgeschreckt, als sie von ihren blicklosen Augen erfasst wurde. Es war in der Nähe der Gefrierschränke gewesen, jetzt sieht sie die weißen Monster vor sich. Sie schöpft neue Hoffnung. Kühleinrichtungen haben ganz sicher eine Innenbeleuchtung. Mit dem Licht im Raum, würde sie auch die Tür finden.
Sie muss nur einen von diesen Schränken finden und öffnen. Das Problem, dass sie als Star auf dem Film der Überwachungskamera fungiert und jeder sie erkennt, ist jetzt zweitrangig. Irgendeine Entschuldigung wird ihr schon einfallen. Sie muss hier wieder raus, und den Ausgang findet sie nur, wenn sie etwas sieht.
Vorsichtig, immer das rote Lämpchen im Auge, wagt Ulla sich langsam Schritt für Schritt vorwärts. Sie zuckt zusammen, als ihre Füße an eine Begrenzung stoßen. Gleichzeitig ist sie erleichtert. Eine Wand. Sie benutzt jetzt ihre Hände, um sich vorwärtszutasten, das gibt ein wenig mehr Sicherheit.
Der Untergrund fühlt sich feucht und erdig an, aber die Wand scheint sich endlos zu dehnen. Das rote Pünktchen rückt nicht näher. Soll sie es woanders probieren? Wieder erfasst Panik sie und lähmt ihren Körper. Wieder muss sie sich selbst gut zureden, um weiterzugehen.
Erneut peilt sie das rote Leuchtpünktchen an, meint nach einigen Minuten, ihm näher zu kommen. Ihre Finger gleiten in Schlangenlinien an der Wand entlang vorwärts, sie erschrickt, als ihr Fuß erneut an einen Gegenstand stößt. Atmet auf, als ihr in den Sinn kommt, dass es vielleicht eine Nische sein könnte oder ein Mauervorsprung, wagt nicht zu hoffen, dass es vielleicht die Kühlanlage sein könnte. Nein, dazu ist das rote Lämpchen noch zu weit entfernt, oder ist es jetzt näher dran?
Sie zwingt sich wieder, sich den länglichen Raum bei Licht vorzustellen. Aber ihre Erinnerung hat keine Details gespeichert. Verzweiflung überfällt sie wie ein Feind, den sie erneut niederkämpfen muss, bevor sie sich weitere Zentimeter vortasten kann.
Als endlich unter ihren Fingerspitzen eine kalte, glatte Oberfläche fühlbar wird, schreit sie auf, bis sie begreift, was sich unter ihren Fingern kalt anfühlt. Metall! schießt ihr durch den Kopf, endlich. Einer der Schränke! Vor Erleichterung bricht sie in unkontrolliertes Kichern aus.
Wo befindet sich jetzt der Griff? Hatte der Schrank überhaupt einen Griff wie ihr Kühlschrank zu Hause? Mit der flachen Handfläche tastet sie die Fläche der Höhe nach ab, als würde sie den Schrank imaginär abwischen. Aber entweder hat der Schrank keinen Griff, oder aber ihre Hand findet ihn im Dunkeln nicht. Enttäuscht lässt sie den Arm wieder fallen. Ihr Mut sinkt erneut, sie flucht laut. In ihrer Wut beginnt sie mit den Knöcheln gegen den Schrank zu klopfen. Vielleicht offenbart sich durch einen unterschiedlichen Ton, an welcher Stelle sich die Tür öffnen lässt. Aber auch dieser Versuch scheitert, und in ihrer Verzweiflung rüttelt Ulla wie von Sinnen an dem Gerät, bis sie resigniert aufgibt und einen Schritt zurücktritt.
In ihrer Hoffnungslosigkeit zittern ihr die Knie, und am liebsten würde sie sich hinsetzen. Von ihrem Magen steigt Übelkeit auf, alles dreht sich, die Schwärze vor ihren Augen scheint in ihr Inneres zu fließen.
Gib auf, flüstert ihr eine Stimme zu. Doch eine andere Stimme gibt keine Ruhe, sie schimpft: Das kann auch nur dir passieren, Ulla. Um deine verdammte Neugier zu befriedigen, musst du ja deine Nase vorschnell überall reinstecken. Das hast du nun davon. Jetzt sieh zu, wie du dich aus dieser Situation wieder heraus manövrierst. Reiß dich am Riemen,
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