Tatort Mosel
Abfahrt übernahm er die Führung und war froh, sich wieder warm strampeln zu können. Auch als er wenige Kilometer später über eine Radfahrbrücke nach Luxemburg wechselte und danach im Tempo nachließ, machte Doris keine Anstalten, ihn zu überholen.
Morgen musste unbedingt das Grundbuch gewälzt werden, um herauszufinden, auf wessen Namen die im Käsblatt aufgeführten Immobilien eingetragen waren. Diesen Kurz wusste er nicht richtig einzuschätzen, und wo war der Geschäftsführer des Aktivkreises abgeblieben?
Doris fuhr neben ihm. Sie hatten etwa die gleiche Übersetzung und traten synchron in die Pedale. Walde schaute nach seiner Flasche. Sie war leer.
Doris nahm ihre aus dem Halter und reichte sie ihm hinüber: »Was denkst du?«
Walde nahm einen großen Schluck und gab ihr die Flasche zurück: »Nichts Besonderes.«
»Du denkst über den neuen Fall nach«, sagte sie.
»Wie schafft man es, sich mit derart vielen Unternehmen gleichzeitig abzugeben und sich obendrein noch in mehreren Vereinen zu engagieren?«
»Das hat der Räumer gebraucht, so war er, immer auf Hochtouren, ich hab ihn ja lange genug erleben dürfen«, Doris lächelte gequält, »bevor er die Firma an die Wand gefahren hat.«
»Ein eiskalter Geschäftsmann«, sagte Walde.
»Einerseits, andererseits hat er sich wirklich sehr liebevoll um seine Tochter gekümmert. Den Reiterhof am Herrenhammer hat er nur für sie unterhalten. Da sind ihre beiden Pferde untergebracht, um die sich Schorsch kümmert.« Doris lächelte noch etwas gequälter als vorhin. »Er ist Räumers Mann fürs Grobe.«
»Ich kenn ihn. Nicht gerade einer, dem man allein im Dunkeln begegnen möchte«, bemerkte Walde.
»Schorsch soll in der Fremdenlegion gewesen sein. Er hat danach ein paar krumme Dinger gedreht. In den letzten Jahren hat er hin und wieder Räumers Geschäften den nötigen Nachdruck verliehen.«
»Was für Geschäften?«
»Zum Beispiel Mieten kassieren und säumige Schuldner maßregeln.«
»Mieten kassieren?«
»Räumer hat Dutzende Appartements ohne Mietverträge laufen. Da wird cash bezahlt.«
»Was sind das für Leute, die sich auf so was einlassen?«, fragte Walde.
»Saisonarbeiter aus der Gastronomie, Studenten, Untergetauchte, Illegale, alles querbeet.«
»Und dieser Schorsch kassiert die Mieten?«
»Nicht nur der, Räumer war früher höchstpersönlich am Monatsende mit seinem Köfferchen unterwegs.«
Walde dachte an die Geschichte, die sich vor einigen Jahren abgespielt hatte. Doris hatte sich von Räumer die von ihm geschuldete Lohnzahlung mit Gewalt holen wollen und dabei aus Versehen den Falschen erwischt.
Um dieses leidige Thema nicht weiter vertiefen zu müssen, fragte er: »Kennst du seine Frau?«
»Der Schorsch hat keine Frau.«
»Nein, ich meine Räumers Frau. Ich war heute bei ihr.«
»Ich kenn sie nur flüchtig, aber sie macht einen netten Eindruck. Es ist ja oft so, dass die größten Kotzbrocken mit den nettesten Frauen zusammen sind.«
Doris ließ sich zurückfallen und machte auf der Holzbrücke nach Metzdorf einer entgegen kommenden Gruppe Radwanderer mit prallen Satteltaschen Platz.
»Warst du schon am neuen Grutenhäuschen?«, fragte Walde, als sie durch Wasserbilligerbrück sausten.
»Neu? Ich dachte, das haben die Römer erbaut?«
»Jo würde antworten: Das muss ja nicht ausschließen, dass ein bisschen nachgebessert werden darf.«
Walde fuhr voraus durch die Bahnunterführung die ansteigende Straße hoch, von der ein geteerter Weinbergspfad abging. Einen halben Kilometer weiter stellten sie die Räder ab. Sie stiegen zu dem tempelartigen Gebäude empor, das mitten im Weinberg gegen den Himmel aufragte.
Doris blieb vorn an den Säulen stehen, wo sich der mit grobem Schiefer gemauerte Raum zum Tal hin öffnete. Walde trat unter das Dach und genoss von dort den von den Säulen gerahmten Blick über den Weinberg auf das weitläufige Moseltal. Doris1 Silhouette hob sich dunkel gegen das Sonnenlicht ab. Für einen Augenblick sah er sie, wie sie in eine Toga gekleidet, vor zwei Jahrtausenden hier gestanden haben könnte. Er verharrte und genoss das nur Sekunden dauernde Gefühl. Es bereitete ihm unvermittelt Gänsehaut. Wenn es so etwas wie Glück gab, dann empfand er es jetzt.
»Was denkst du?«, fragte Doris, als ahnte sie seine Gefühle.
»Die Gedanken sind frei …«, summte er.
»Komm, sag schon!«
»Ich sehe dich in einer Toga, im Gegenlicht, so wie du jetzt an der Säule lehnst mit deinem römischen
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