Tatort Mosel
Reisekatalog abstellte: »Ich hatte nicht erwartet, Sie so anzutreffen?«
»Wie?«, fragte sie.
Walde hätte die Frage gern wieder zurückgezogen. Deshalb bemühte er sich, schnell anzufügen: »Ich meine, ich hatte erwartet, dass Sie nicht allein sind.«
»Ich habe allen, die mich angerufen haben, gesagt, dass ich Zeit brauche, um nachzudenken. Jenny ist bei einer Freundin. Ich bringe sie nachher zum Herrenhof.«
Gabi warf Walde einen vielsagenden Blick zu. Sie hatte bisher noch nichts gesagt: »Wir kommen von dort. Ihr Mitarbeiter, dieser Schorsch …«
Die Stimme der Witwe klang gereizt: »Das ist nicht mein Mitarbeiter. Im übrigen werden die Pferde demnächst woanders untergebracht.«
»Jedenfalls mussten wir ihn mitnehmen, weil er nicht in der Lage war, unsere Fragen zu beantworten«, fuhr Gabi fort.
»Mit anderen Worten: Er war mal wieder sternhagelvoll«, stellte Frau Räumer fest. Sie nahm einen Schluck aus der kleinen Tasse. Ihre Stimme wurde wieder leiser: »Ich habe in den letzten drei Wochen so viel nachgedacht, dass ich mich heute ganz leer fühle.« Sie zündete sich eine neue Zigarette an. »Wissen Sie, es ist nicht gesagt, dass die Banken jetzt, wo mein Mann nicht mehr lebt, die Kredite kündigen.«
»Werden sie das tun?«, fragte Gabi.
Sie antwortete nicht.
Walde schaltete sich wieder in das Gespräch ein: »Sie haben mir bei unserem ersten Treffen eine Liste überreicht.«
Sie nickte.
»Ich frage mich, warum Sie nicht selbst die Leute angerufen und sich nach Ihrem Mann erkundigt haben?«
»Das hatte ich teilweise schon getan, aber ich konnte nicht sicher sein, ob die Leute mir die Wahrheit sagten. Es waren auch welche dabei, mit denen ich nicht sprechen wollte oder konnte.«
»Sie meinen zum Beispiel seine Freundin?« Walde nahm die Liste aus seinem Notizblock. Hinter wenigen Namen standen Notizen.
»Zum Beispiel.« Sie hob den Kopf und blies den Rauch nach oben.
»Hatte er Feinde?« Walde spürte, dass sie die Frage erwartet hatte, dennoch stieß sie den Rauch abrupter aus als vorher.
»Feinde, Neider, Konkurrenten, Leute, die darauf gewartet haben, dass ihm etwas misslingt, die hinter seinem Rücken schlecht über ihn geredet haben, die sich von ihm schlecht behandelt oder übergangen gefühlt haben. Die alle gab und gibt es.«
»Können Sie Namen nennen?«
»Wo soll ich anfangen?«
»Wo Sie möchten.« Walde nahm einen Stift aus der Tasche. »Wem trauen Sie zu, dass er wirklich zum Äußersten hätte gehen können?«
»Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Ich habe darüber nachgedacht. Mein Mann hat sich bei vielen Leuten unbeliebt gemacht und es dabei verstanden, sehr wenig Angriffsfläche zu bieten. Das hat seine Widersacher sicher noch rasender gemacht, aber …«
»Ihn umzubringen?«, ergänzte Walde.
»Nein, das traue ich keinem zu, nein.« Sie schüttelte den Kopf und stand auf. Drinnen klingelte ein Telefon. Sie musste es vor ihm gehört haben.
Walde hörte sie halblaut reden. Er verstand nur ’jetzt nicht’ und ’ich rufe zurück’.
*
Als Walde zu Hause ankam, ging er zum Telefon und rief Doris an: »Hallo, du bist noch da?«
»Nicht mehr lange, ich wollte gerade eine Runde mit dem Rad drehen.«
Walde überlegte: »Ich komme mit.«
»Es sind ein paar Hügel dabei«, warnte sie.
»Bin in zwanzig Minuten bei dir, ich muss mich noch umziehen.«
Unterwegs dachte Walde nach, welche Strecke ihn erwartete. Was Doris als Hügel bezeichnete, konnten kilometerlange Steigungen mit mörderischem Profil sein. Er musste nachdenken und wollte am Abend keine schweren Beine haben.
Mit Jeans und Radhemd bekleidet, traf er eine Viertelstunde später in der Kochstraße ein. Mit der Hose hoffte er, Doris den Freizeitcharakter der Tour zu signalisieren.
Spätestens nach einer halben Stunde, als seine ein forsches Tempo vorlegende Freundin am Erlenhof nicht, wie er gehofft hatte, auf die relativ flache Strecke in Richtung Aach abbog, sondern geradeaus den Berg nach Butzweiler in Angriff nahm, wurde Walde klar, dass es vernünftig gewesen wäre, vorab die Route zu klären. Als sie am Ende der Steigung in den Wiegetritt überging, fixierte er ihre weiblichen Rundungen und die schlanken, gebräunten Beine und gab alles daran, den Kontakt zu ihrem Rad nicht abreißen zu lassen.
Auf der langen Abfahrt von Newel ins Sauertal zog er den Reißverschluss seines Hemdes bis unters Kinn. Dennoch kühlte der Fahrtwind seinen nass geschwitzten Körper aus. Vor der letzten Kurve der
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