Tatort Mosel
uns zu nachtschlafender Zeit hier eingefunden haben. Nicht eine Krise der Polizei, sondern eine Krise, in der sich die ganze Stadt befindet …«
»Das muss man dem Präsidenten lassen«, flüsterte Gabi in die ausufernde Einleitung hinein, »er hat eine Menge Rotwein intus, bewahrt aber immer noch die Contenance.« Die letzte Silbe dehnte sie unbeabsichtigt lange aus.
»Gabi, kannst du mir einen Gefallen tun?«, fragte Walde.
»Ja?«
»Versprich mir, so lange den Mund zu halten, bis du wieder halbwegs nüchtern bist. Und halte dich bitte besonders mit französischen Wörtern zurück.«
Gabi winkte ab und schaute demonstrativ in die andere Richtung, wo Stiermann nun Meier vom neuen Mordfall Fellrich berichten ließ. Im Anschluss fasste Walde den aktuellen Stand im Fall Räumer zusammen.
Es trat eine kurze Pause ein. Nur Gabi, die weder Stift noch Papier vor sich liegen hatte, und Stiermann schauten in die Runde. Die anderen schienen in ihre Notizen vertieft zu sein.
Walde hätte mit jedem fünf Euro darauf gewettet, dass Stiermann das Thema ansprechen würde. Es verging auch keine Minute, bis Stiermann in das Schweigen hinein fragte: »Ist unsere Belegschaft, ich meine das jetzt nicht qualitativ, sondern rein quantitativ, groß genug, um einen Fall, der diese Dimension angenommen hat, zu bewältigen?«
»Herr Präsident, darf ich Sie daran erinnern, was beim letzten Mai herausgekommen ist, als wir das LKA um Hilfe gebeten haben?« Staatsanwalt Roth klang wie der Personalratsvertreter des Präsidiums: »Ich denke, in dem vorliegenden Fall, ja ich rede von dem Fall, weil zwischen den beiden Morden ein offensichtlicher Zusammenhang besteht, ist eine profunde Kenntnis der hiesigen Verhältnisse erforderlich.«
»Um in der Sprache von Herrn Roth zu bleiben, wünsche ich mir schon eine Verstärkung auf der ein oder anderen Position. Zum Beispiel könnten wir die Hilfe eines Psychologen, besser noch eines Profilers, gut gebrauchen.« Walde hob eine Kopie des Bekennerschreibens hoch. »Weiterhin sind mehr Leute erforderlich.«
»Eine Sonderkommission!«, brummte Stiermann.
»Ich will gar nicht daran denken, was morgen in den Zeitungen steht«, sagte Roth.
»Und ich will nicht daran denken, wer das nächste Opfer ist«, entgegnete Meier. »Genau da sollten wir ansetzen. Was haben die beiden Opfer gemeinsam, was sie in den Augen des Täters den Tod verdienen lässt? Daraus sollten wir schließen, wer das nächste Opfer sein könnte.«
»Leichter gesagt als getan. Gehen wir einmal davon aus, dass es uns gelingt, herauszufinden, wer ein mögliches weiteres Opfer sein könnte.« Meier drehte eine imaginäre Zigarette in der linken Hand. »Das könnten zwölf Leute sein, vielleicht auch mehr, aber belassen wir es mal bei zwölf. Und dann?«
»Überwachen wir sie«, sagte Roth.
»Zwölf Observierungen bedeutet jeweils pro Zielobjekt zwei Mann in drei Schichten rund um die Uhr, macht pro Zielperson sechs Mann. Das Ganze mal zwölf macht 72 Beamte«, rechnete Meier vor. »Das wäre dann aber immer noch keine Garantie dafür, dass nicht jemand ganz anderer umgebracht wird.«
»Wir brauchen ein Täterprofil, vielleicht kann uns dieses anonyme Schreiben Aufschluss geben«, sagte Roth.
»Wenn es denn wirklich vom Täter stammt«, warf Meier ein.
»Dazu wollte ich noch etwas sagen«, meldete sich Grabbe zu Wort. Er trug einen schlabberigen grauen Trainingsanzug. »Ich habe da so was läuten hören, dass die Briefe nicht nur an Mitglieder des Aktivkreises geschickt wurden, sondern auch an die Stadtverwaltung.«
»An den Oberbürgermeister?«, fragte Stiermann, der den Eindruck machte, als würde er jeden Moment am Tisch einschlafen.
»An wen denn sonst …?« Gabi fiel offensichtlich mitten im Satz Waldes Ratschlag ein.
»Ja, so wird gemunkelt.« Grabbe fummelte in den Papieren und hielt sich mehrere Blätter nacheinander dicht vor die Augen.
»Woher weißt du das?«, fragte Walde, dem jetzt auffiel, dass Grabbes Brille fehlte. Er wusste, dass sein Kollege eine Brille trug, ohne die er weder ein Auto steuern noch eine Zeile lesen konnte. Die Brille war ihm wohl beim Öffnen der Jeeptür abhanden gekommen. Walde bekam ein schlechtes Gewissen. Statt seinem Kollegen zu helfen, hatte er dagestanden und ihn mit den anderen zusammen ausgelacht.
»Das hat mir …«, Grabbe blinzelte in Waldes Richtung, gab dann aber den Versuch auf, eine Reaktion im Gesicht seines Chefs zu erkennen, »… jemand, also der Uli vom Käsblatt,
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