Tatort Mosel
Mosel war wieder auf den normalen Pegel zurückgegangen. In der ruhigen Oberfläche des Flusses spiegelte sich der nächtliche Himmel. Hier und da produzierten nach oben stoßende Fische kleine konzentrische Kreise, ansonsten wirkte das Wasser wie das eines stillen Sees.
Am Licht und dem Fahrzeugaufkommen konnte Walde auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses die Stelle ausmachen, wo die Bergung des Fahrzeugs im Gange war. Von der Brücke aus, über die er sich zu Fuß auf den Weg machte, waren das Schiff der Wasserschutzpolizei und zwei kleinere Boote auf dem Wasser zu erkennen.
Auf der breiten Steintreppe, die von der Brücke hinab nach Pallien führte, dachte Walde darüber nach, wie es mit ihm und Doris weitergehen sollte. Was hatte es mit ihrem Entschluss auf sich, sich scheiden zu lassen? Erwartete sie von ihm, dass er ihr einen Antrag machte?
Grabbe nahm Walde in Empfang und führte ihn zu Meier. Der saß mitten im Getümmel aus Fahrzeugen, Scheinwerfern und Menschen neben einem leise tuckernden Bergungsfahrzeug auf seinem Stuhl wie ein Regisseur am Set. Von der Seilwinde hinter dem Führerhaus am Ende führte eine Stahltrosse über die Laderampe in das ruhige Wasser, als habe man eine gewaltige Angel ausgelegt.
Meier, die Zigarette im Mundwinkel, erhob sich, schwerfällig auf die Armlehnen gestützt, aus einem mit hellem Leinen bezogenen Klappstuhl, als er Walde kommen sah.
»Wir haben ihn am Haken«, war seine knappe Auskunft.
In diesem Moment lief die Seilwinde auf dem Bergungsfahrzeug an. Das Stahlseil spannte sich und peitschte einen Schwall dicker Tropfen aus dem Wasser. Für einen Augenblick stand das Stahlseil still, bevor es unter dem Ächzen der Winde Zentimeter um Zentimeter eingefahren wurde. Von einem Boot aus, das sich anscheinend genau über dem Bergungsobjekt befand, wurden per Funk und mit Handzeichen Kommandos zum Mann an der Winde gegeben. Immer wieder wurde die Winde gestoppt.
»Der Wagen war umgekippt und musste unter Wasser wieder auf die Räder gestellt werden. Die haben«, Meier wies in Richtung Boot, »Luftkissen an dem Wagen angebracht. Das ging ganz flott.« Meier steckte sich demonstrativ die Hände zum Aufwärmen unter die Achseln. »Die Mosel hat nur acht Grad. Die Taucher sind schon seit Stunden zu Gange.«
Die Seilwinde lief weiter und das Boot kam immer näher zum Ufer. Alle blickten gebannt auf die Stelle, an der das Stahlseil Stück für Stück eingeholt wurde.
Im ersten Moment sah es wie ein gewaltiger Fisch aus, der da aus dem Wasser gezogen wurde, als eine dunkel schimmernde Rundung aus dem Fluss auftauchte. Als habe ein zweiter Moby Dick sich hierher verirrt. Im Blitzlicht, das unvermittelt aufflackerte, wurden Kühler und Motorhaube erkennbar.
»Er ist es.« Meier sprach gleichzeitig zu Walde und in ein Funkgerät.
Während größere Steine zur Seite geräumt wurden, um den Wagen vollkommen aus dem Wasser ziehen zu können, ging Walde nahe an das Fahrzeug heran und versuchte, im Wageninnern etwas zu erkennen. Aber er sah nur bräunliches Wasser, das bis fast unters Dach stand.
Grabbe rüttelte am Griff der Fahrertür. Walde wich instinktiv ein paar Schritte zurück. Er stolperte über einen größeren Stein, als die Tür nachgab und wie von Geisterhand aufschlug. Ein riesiger Schwall Wasser ergoss sich über Grabbe und riss ihn zu Boden. Für Sekunden verschwand er komplett in den braunen Fluten. Als sich das Wasser einen Weg in Richtung Mosel gesucht hatte, sah Walde einen mit Schlamm überzogenen Körper neben dem Wagen liegen. Er überlegte, ob es sich um Fellrichs Leiche handeln könnte, die aus dem Auto gespült worden war, als sich die Gestalt mit einem Mal bewegte.
Langsam, wie ein Zombie, erhob sie sich aus dem Morast. Walde starrte auf einen schlammglänzenden Rücken und einen Hinterkopf, an dem die gleiche Masse klebte. Das Wesen blickte in Richtung Wasser, orientierte sich und drehte sich langsam um.
Als Meier in schallendes Gelächter ausbrach, gab es am Ufer kein Halten mehr. Es half nichts, dass sich Walde schonungslos mit zwei Fingern in die Seite zwickte. Er hatte Meier noch nie lachen hören. Es klang, als müsste er die letzten vierzig Jahre nachholen. Meier ließ sich so heftig in den Klappstuhl fallen, dass er fast mit ihm zusammen nach hinten umgekippt wäre. Tränen liefen über sein Gesicht. Er brüllte vor Lachen, schnappte gleichzeitig nach Luft und schlug sich immer wieder auf die Oberschenkel, als könne er damit einen
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