Tatort Mosel
Mechanismus in seinem Körper ausschalten, der ihn jedes Mal von neuem zu eruptiven Ausbrüchen zwang.
Ein Blitzlichtgewitter, noch heftiger, als es beim Auftauchen des Wagens der Fall gewesen war, brach los.
Grabbe blieb unbeweglich stehen, als habe die Schlammkruste ihn erstarren lassen. Immer, wenn ein Blitz ihn traf, leuchtete das Weiß seiner weit aufgerissenen Augen und seiner Zähne im halb geöffneten Mund im Dunkeln auf.
Als endlich das letzte Foto auf dem letzten Film belichtet und die Speicherkapazität der Digitalkameras erschöpft war, schnappte sich Walde am Wagen der Feuerwehr eine Decke und legte sie seinem Kollegen um. Behutsam führte er ihn zu einem der Sanitäter, die wegen des Einsatzes der Taucher vor Ort waren und bisher beschäftigungslos geblieben waren.
Meier, inzwischen wieder Herr der Lage, hatte seine Rolle als Chef am Set erneut übernommen. Er ließ die Lampen um den Wagen am Ufer aufstellen. Die Untersuchung des Innenraums blieb ergebnislos.
»Bevor der Jeep ins Präsidium gebracht wird, sollten wir einen Blick in den Kofferraum werfen«, sagte Meier mit gewohnt strenger Miene. Er hielt den Schlüssel in der Hand, an dessen schmutzigen Anhaftungen zu erkennen war, dass er ihn aus dem Zündschloss abgezogen hatte.
Diesmal war der Bereich um das bis fast ans Wasser ragende Heck des Wagens von Polizisten abgesperrt worden, um Unbefugten keinen Einblick zu gewähren.
Meier öffnete die Heckklappe und trat einen Schritt zurück, um der aufschwingenden Tür auszuweichen. Walde sah als erster den Körper, der in Embryonalstellung im nassen Kofferraum lag. Meier hielt den Strahl der Taschenlampe auf das entstellte Gesicht des Toten und drehte sich dann mit ernstem Kopfnicken um: »Fellrich!«
*
Hirschner hatte an diesem Abend im Le coq rouge auf Leas Gegenwart verzichtet. Seit einem Jahr war sie als seine Chauffeurin, Sekretärin, gelegentlich sogar Übersetzerin, wenn das Englisch seiner russischen Geschäftspartner nicht ausreichte, angestellt – und sie passte auf ihn auf. Das Wort ’Bodyguard’ hörte sie ebenso ungern wie ’Mädchen für alles’. Sie war seine Frau für alles, fast alles. Schließlich war er dreißig Jahre älter als sie und hatte Familie. Lea war sein Schutzengel. Oberst Gaddafi hatte weibliche Bodyguards, die es seit Jahrzehnten schafften, einen der meist gefährdeten Männer der Welt vor Attentaten zu schützen. Dabei handelte es sich um keine geringeren Organisationen als CIA und Mossad. Da sollte Lea wohl dazu imstande sein, ihm russische Konkurrenten vom Hals zu halten, die vor nichts zurückschreckten, wenn es darum ging, sich eines lästigen Widersachers zu entledigen.
Lea war im Le coq rouge nicht dabei, weil Hirschner lieber mit Schorsch allein sein wollte. Es war immer wieder vorgekommen, dass Schorsch unvermittelt von den alten Zeiten zu erzählen begann. Von damals, als die ersten Tankwagen mit Flüssigzucker in einer Nacht- und Nebelaktion abgefertigt wurden, bis zum Schluss, wo manchmal, ohne dass eine Bestellung vorlag, 20.000-Liter-Tanklaster auf den Hof rollten. Und nie blieb nur ein einziger Liter in einem der Lkws zurück.
Gerard, im blütenweißen Kochdress, trat an ihren Tisch und fragte seinen besonderen Gast, ob alles seinen Wünschen entsprach.
»Bestens, wunderbar«, antwortete der nicht angesprochene Schorsch.
Gerard ignorierte das Kompliment: »Hoffentlich ist Monsieur Fellrich nichts passiert!«
»Warum?«, fragte Hirschner.
»’aben Sie nicht die Nachrichten gehört?« Obwohl er es tadellos aussprechen konnte, sparte Gerard das ’H’ aus. Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern.
»Fellrich wird seit gestern Abend vermisst. Die Polizei sucht nach ihm.«
Hirschner war an dem besagten Abend, als Räumer verschwand, ebenfalls im Muselfesch in Zurlauben gewesen. Vorher hatten sie hier im Le coq rouge gespeist. Ihm fiel wieder der Schatten ein, den er am Samstagabend in seinem Garten gesehen hatte.
Er hatte vor einer halben Stunde die Gelegenheit nicht genutzt, den Polizeipräsidenten persönlich nach dem aktuellen Stand im Fall Räumer zu fragen.
*
Gegen Mitternacht saß Walde mit Stiermann, Staatsanwalt Roth und dem Rest der Ermittlungsgruppe im Präsidium um den großen Tisch, als wären sie zu einer nächtlichen Séance verabredet.
»Meine Damen und Herren.« Stiermann war am Kopfende des Konferenztisches sitzen geblieben. »Wir treffen uns zu keiner üblichen Sitzung. Es ist eine Krisensitzung, zu der wir
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