Tatort Oktoberfest (German Edition)
zünftig wird. Bei diesem Gedanken muss sie schmunzeln, weil ihr Ulla und ihre Kurven einfallen. Sie beobachtet Nadine, die mit ihrem Freund Patrick Händchen hält. Nadines süße Pfirsiche leuchten recht einladend und wundervoll garniert mit weißer Spitze aus dem Mieder hervor. Das Jeansmädchen hat sich in eine hübsche Frau verwandelt. Der Blick auf ihren Ausschnitt brachte ihren Neffen Ludwig offensichtlich in Verlegenheit.
Eine zierliche Japanerin drängt sich vor Julia und versucht, das Geschehen haarklein auf Video zu bannen. Auch sie trägt ein kurzes Dirndl. Ihr fehlt ein wenig das Holz vor der Hütt’n, aber sie lächelt so liebreizend, als sie sich mit einem „Please, bitte“ durchschlängelt, dass man ihr diesen Umstand nicht nachträgt.
„Ein richtiger Bilderbuchtag, heute. Den ganzen Sommer war es nicht so heiß. Die Sonne brennt richtig“, flicht Julia ein, als sie wieder zu den jungen Leuten aufschließt. „Ist alles okay?“ die Frage gilt Ludwig. Der Junge nickt. Julia hat ihn nicht überzeugen können, sich in ihrem Sinne normal anzuziehen. Er weigerte sich standhaft, und so ragt er in seinen Rapperklamotten wie ein Fremdkörper aus der Menge heraus. Hin und wieder zieht er den Schirm seiner Kappe weiter ins Gesicht und versenkt die Hände tiefer in den Taschen seiner Hängejeans. Doch sein gespieltes Desinteresse täuscht, Julia weiß, dass seine Blicke jede Kleinigkeit aufmerksam verfolgen. Sie umschließt ihren Neffen liebevoll mit ihren Blicken. Er ist ein hübscher Bursche, so wie es ihr Bruder auch war, aber das darf sie natürlich keinesfalls laut äußern. Sie betrachtet seine schmalen Züge mit dem blassen Teint. Seine ernste Miene wirkt heute verschlossen, er ist noch stiller als sonst. Julia schiebt dies auf den Umstand, dass er sich in Nadine verschaut hat. Aussichtslos, denn sie hat ihren Freund Patrick dabei. Gern würde sie einfach Ludwigs Hand nehmen und ihm Trost spenden, aber er würde ihre Geste nicht verstehen, und es wäre ihm sicherlich nur hochpeinlich. Ohne Ludwigs Besuch hätte sie sich vermutlich gar nicht zum Umzug aufgerafft. Obwohl sie einmal mehr feststellt, dass man die Stimmung der Menschen am Fernsehschirm nicht in gleichem Maße nachempfinden kann. Außerdem haben die Zeitungen mit ihren Vorankündigungen alle neugierig gemacht. Wie sehen die beiden Wettstreiter um das neue Wiesn-Zelt wohl in natura aus? Die Gladiatoren werden sie da und dort genannt. Die beiden dürfen, obwohl noch nicht Wirte, in der letzten Kutsche mitfahren.
Der erste Ausscheidungskampf um die Punkte startet heute Abend. Um das Was und Wie ist ein großes, schwarzes Tuch gehängt worden, nichts darf verraten werden, alles wurde unter höchster Geheimhaltung vereinbart. Dies gibt Raum für Mutmaßungen. Gegen jede Tradition wird das Ganze auf einem großen Bildschirm am anderen Ende der Wiesn übertragen – Public Viewing an dem Platz, an dem im nächsten Jahr das neue Zelt aufgebaut werden soll, und wo in den letzten Jahren noch Fahrzeuge geparkt werden konnten oder in manchen Jahren die Landwirtschaftsausstellung mit Kühen und Pferden residierte. Während der Stunde, in der die Ausscheidung läuft, wird dort Freibier ausgeschenkt.
„Die Claudia ist eine ganz Nette und sieht super aus“, berichtet Nadine gerade. „Wir“, sie zeigt auf Ludwig und sich, „waren bei dem Empfang auf der Roseninsel mit dabei“, erklärt sie der neben ihr stehenden Frau. Die nickt interessiert. Plötzlich geht ein Ruck durch die Menschenmenge. Alle drängen nach vorn, um den letzten Wagen und seine Insassen besser in Augenschein nehmen zu können. „Wo?“ Nadine reckt sich hoch.
Auch Julia versucht sich eine günstigere Sichtposition zu erkämpfen, bevor der Wagen, der noch ein Stück entfernt ist, ihre Höhe erreicht. Ludwig starrt wie gebannt auf das Fahrzeug, er ruft irgendetwas, aber in dem allgemeinen Tumult geht es unter. Dies alles nimmt Julia im Bruchteil einer Sekunde aus den Augenwinkeln heraus wahr, dann ist die Kutsche so nah, dass sie die Insassen erkennen kann. Ludwig versucht, noch einen Schritt weiter auf das Fahrzeug hin zu machen, aber er wird von den Passanten abgedrängt.
Wie ein aufgeschreckter Heuschreckenschwarm läuft ein Kamerateam rückwärts vor dem Wagen her, daneben, ebenfalls im Rückwärtsgang, die Pressefotografen. Auf dem Wagen, strahlend wie eine echte Prinzessin, Claudia, ebenso oder noch schöner als auf allen Abbildungen und auch wundervoller als auf dem
Weitere Kostenlose Bücher