Tatort Oktoberfest (German Edition)
ans Ohr, lächelt und haucht dann: „Danke, ja, ich auch. Was machst du? Kannst du nicht einfach, nur für eine Stunde? Nein? Ich vermisse dich.“ Sie legt das Telefon auf die Kommode und schlüpft aus ihren Sachen. Ohne sich zu duschen, lässt sie sich auf das Bett fallen. Langsam fahren ihre Hände den Körper hinunter. Sie schaltet das Licht aus.
Viel später wacht sie schlaftrunken auf, weil das Handy erneut klingelt. Am Ton erkennt sie, dass es nicht er ist, leider. Sie streckt die Hand aus, aber es gelingt ihr nicht, das kleine Gerät zu erreichen. Es fällt auf den Boden, dort hört es auf zu läuten. Faul und schläfrig und zu müde, um aufzustehen und zu suchen, lässt sie es einfach liegen. Morgen früh, denkt sie und dreht sich auf die Seite, kuschelt sich tief in die Kissen und schläft sofort wieder ein.
Endlich Wiesn-Samstag
Menschen drängen sich am Straßenrand des Bavariaringes, treten von einem Bein auf das andere und recken die Hälse, um Ausschau nach dem Festzug der Wiesn-Wirte zu halten. Trotz der Warterei sind alle aufgeräumter Stimmung. Julia seufzt. Sie denkt an den gestrigen Tag, an di Flavio, und ein träumerisches Lächeln umspielt ihren Mund. Ludwig steht mit Nadine ein wenig weiter vorn an der Straße. Gestern hat er den ganzen Tag im Internetcafé gehockt, und sie war nicht so unglücklich darüber gewesen. Wäre er mit ins Krankenhaus gekommen, wäre all das nicht passiert, was sie jetzt aufgeregt und kribbelig macht. Obwohl ihr Verstand ihr sagt, dass sie alles ganz, ganz schnell wieder vergessen sollte, schließlich ist der Commissario verheiratet, hat große Kinder und lebt auf Mallorca, und da ist nichts, was irgendwie nur ein Fünkchen Hoffnung aufkeimen lässt. Aber Verstand ist eine Sache und Gefühl eine andere.
Sie stehen ziemlich eingekeilt in Höhe der Paulskirche im Gewühl. Noch ist der Zug nicht zu sehen, nur ab und an drängt sich jemand durch, um zu dem auf der Straßeninsel befindlichen Toilettenhäusl zu gelangen. Die schrägen Fenster des großen Möbelhauses auf der anderen Straßenseite glitzern in der Sonne, als plötzlich ein Ruck durch die Menge geht, Röcke rascheln und der Ruf: „Sie kommen …“ sich fortpflanzt.
„Mei herzig schaut’s aus, des Töchterle vom Sepp“, äußert sich hinter Julia eine Münchnerin und meint damit die Wirtstochter, die auf einem mächtigen Ross an der Spitze des Zuges reitet. Im schwarz-gelben Umhang, gewandet wie das Münchner Kindl im Stadtwappen, winkt sie, lacht und schwenkt einen riesigen Maßkrug. Hinter ihr folgt die Festkutsche mit dem Münchner Oberbürgermeister und der Familie Schottenhammel, wie der Brauch es vorschreibt. Kräftige Gäule ziehen die über und über mit Girlanden geschmückten und mit Bierfässern beladenen Brauereiwagen. Die Pferdeleiber, gestriegelt und glänzend wie Seide, dampfen im Sonnenlicht. Das prächtige Geschirr klingelt und klirrt bei jeder Bewegung. Die zwischen den Wagen marschierenden Mitglieder der Festzeltkapellen übertönen mit Pauken und Trompeten das Getrappel der Pferdehufe und stimmen die Besucher auf die Wiesn-Hits ein.
Julia schaut zur Theresienwiese hinüber. Im strahlenden Licht heben sich die Silhouetten der Bierzelte scharf ab, und das Riesenrad scheint mit dem Horizont zu verschmelzen.
Die meisten, die sich am Rand der Straße die Beine in den Bauch stehen, haben sich heute in traditionelle Gewänder gehüllt, ein wenig so, als würden sie zu einer mittelalterlichen Dorfkirmes eingeladen sein. Die ersten Jahre war es ihr noch mehr aufgefallen als heute. Eine Münchnerin sagte ihr damals: „Mir ziehn unsere Tracht an und zeigen’s die andern wie schee wir sind.“ Die Einwohner Münchens verwandeln in der Oktoberfestzeit ihre Stadt in ein großes, schönes Bergdorf, das ein Fest feiert. Das Gute ist, jeder ist eingeladen mitzufeiern.
Seit Wochen wimmelt es in den Auslagen der Geschäfte von Trachtigem. Jede verfügbare Schaufensterpuppe ist in ein Dirndl gehüllt, beziehungsweise die Mannsbilder in dreiviertellange Lederhosen. Bis zu den Socken mit Hirschhornknöpfen gibt es alles günstig sogar beim Adler oder C&A zu erstehen. Die Großkopferten und die Promis werden fündig beim Lodenfrey oder in einem der kleinen, exklusiven Geschäfte rund um die Maximilianstraße.
Julia hat schnell gelernt, dass eines für das Mieder unerlässlich ist: genug Holz vor der Hütt’n, das heißt, die Trägerin sollte über genügend Oberweite verfügen, damit die Sache
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