Tatort Oktoberfest (German Edition)
nicht passiert. Zum Glück“, fügt sie noch hinzu, legt ihm ein Thermometer auf den Nachttisch und schüttelt die Kissen auf. „Unter die Zunge, ich komm später wieder.“
Als sie draußen ist, streicht Julia sanft über seine etwas stoppelige Wange. „Wie lange bist du noch in München?“
„Dort hat mein Kollege das Rückflugticket deponiert. Erst haben sie mich angefordert, jetzt können sie mich nicht schnell genug loswerden. Morgen geht mein Flug.“
„Morgen schon? Schade. Mein Neffe Ludwig ist bei mir zu Besuch, sonst hätte ich gesagt …“ Julia lässt ihre Absicht offen. „Er war gestern ebenfalls zum Empfang eingeladen. Er ist ein Fan von Ludwig II. und sieht ihm ähnlich. Alles, was mit dem Märchenkönig zusammenhängt, interessiert ihn brennend. Heute wollte ich eigentlich mit ihm nach Schloss Linderhof fahren. Aber irgendeine Laus ist ihm über die Leber gelaufen, und er verkriecht sich lieber im Internetcafé. Na ja, kenn sich einer mit den Jugendlichen aus. Aber was erzähle ich dir das alles.“ Sie drückt seine Hand und streicht ihm vorsichtig eine Strähne seines dunkelblonden Haares aus der Stirn. „Sehr dekorativ, dein Kopfschmuck“, lacht sie. „Ich wünsch dir einen guten Flug, ich muss jetzt gehen.“ Ihre weichen, zärtlichen Lippen, die sich ganz sacht öffnen, möchte er ewig auf seinen spüren. Als er die Augen öffnet, ist sie verschwunden. Nur ihr Duft, Jasmin und ein wenig Maiglöckchen, hängt noch in der Luft, sonst würde er vermuten, dass alles ein Traum gewesen wäre.
„Claudia, das Lachscarpaccio ist vorzüglich“, schwärmt eine hochgewachsene Blondine, die nach elegantem Straßenstrich aussieht, als Claudia in ihrem Restaurant die Runde von Tisch zu Tisch macht.
„Freut mich“, antwortet sie und beobachtet eine Sekunde lang, wie die offensichtlich magersüchtige Frau das Essen von einer Seite zur anderen schiebt, um dann gequält ein Fitzelchen in den Mund zu stecken. Sie stöhnt innerlich über die verlorene Mühe. Noch eine Stunde, dann können sie schließen, und heute ist sie froh darüber. Morgen startet das Oktoberfest. Sie wird die Regie des Restaurants ihrem Küchenchef überlassen. Ihre Stammklientel wird sich überwiegend beim Oktoberfest aufhalten. Es wird ruhiger als üblich sein, so dass sie sich wohl um die Gäste weniger sorgen muss als um die Herausforderungen und die Ungewissheit, die der Wettbewerb mit sich bringt. Die Presse ist seit der Veranstaltung des Wurstkönigs Ochshammer gespalten. Wird sie sich behaupten können? Die konservativen Blätter beschwören die Gefahr herauf, die von einer Italienisierung der Wiesn ausgehen würde, und eine Karikatur zeigt sie gar mit einem Lorbeerkranz und einer dampfenden Pizza in der Hand vor einem Festzelt. Darunter: „Wird die Caesarin die Bavaria besiegen?“ Der Bavaria wurden die Züge ihres Gegners verpasst!
Luigi hat sich noch immer nicht gemeldet. Auf ihn ist kein Verlass mehr. Zu gern hätte sie aus interner Quelle erfahren, was sich alles beim Empfang gestern abgespielt hat. Natürlich waren die Zeitungen heute voll davon. Aber er wollte sich doch gezielt umhören und die Stimmung beurteilen. Vermutlich war die Begeisterung so groß, dass Luigi es nicht über das Herz bringt, sie damit zu schocken. So wird es sein. Am besten, ich rufe ihn an. Sie schaut zur Uhr. Nein, unmöglich, zu spät.
„Wir schließen in Kürze, tut mir leid“, hört sie eine ihrer neueren Bedienungen von der Tür her sagen, worauf eine ihr vertraute Stimme antwortet.
„Papa, was führt dich her? Komm rein!“ Sie eilt auf ihn zu, umarmt ihn und drückt ihn an sich. „Mein Vater“, bemerkt sie entschuldigend und führt ihn stolz am Arm zu einem Tisch weiter hinten. Er ist kleiner geworden, oder kommt es ihr nur so vor? Sie schaut ihn von der Seite an. Sein Gesicht wirkt eingefallen. Die reichlich vorhandenen Falten, die seinem Gesicht gut stehen, einen angenehmen Kontrast zu den noch dunklen, vollen, etwas borstig wirkenden Haaren bilden, scheinen sich vermehrt zu haben. Er wird doch nicht krank sein? Ihr schlechtes Gewissen meldet sich. Wir treffen uns, obwohl wir in der gleichen Stadt leben, viel zu selten. Sicher, die Arbeit. Das geht ihm nicht anders als mir. Ich behaupte mich hier in der Küche und er dort, und die Arbeitszeiten sind nun mal anders als in einem Büro. Gut, dass Mama auf den Familienfeste besteht.
„Du isst nicht vernünftig, cara mia, du wirst immer dünner.“
„Papa …“ Sie
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