Tatort Oktoberfest (German Edition)
malträtierter Kopf reagiert sofort wie ein pubertierender, trotziger Jugendlicher. Was gehen ihn eigentlich Wimmers Probleme an? Bis sich Julia in dieses weiche Vakuum in seinem Inneren hineinschmuggelt, der Gedanke an ihre weichen Lippen ihn aufstöhnen lässt und ihn in ein noch undefinierbareres Gefühlschaos schleudert. Er bemüht seine Ratio, schimpft sich einen alten Idioten.
Luigi sollte er noch anrufen, bevor er München verlässt, um endlich herauszubekommen, was er so Wichtiges auf dem Herzen hat. Kurz vor der U-Bahnstation Bonner Platz wählt er erneut Luigis Nummer, wartet, hört: „Der Teilnehmer meldet sich nicht, versuchen Sie es später noch einmal.“ Ihm fällt ein, dass Luigi in Schwabing wohnt und schaut die Anschrift in seinem telefonino nach: Speyerer Straße. Vielleicht ist das hier ganz in der Nähe? Er geht auf eine Passantin zu, die gerade die U-Bahnstation verlässt. „Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, ob ich hier in der Nähe die Speyerer Straße finde?“ fragt er sie höflich.
„Gleich die nächste Straße, dort drüben“, erwidert sie und weist zur nächsten Kreuzung.
„Danke.“ Das fügt sich ja wunderbar. Er schlendert etwa hundert Meter zurück Richtung Krankenhaus, biegt dann in die Speyerer Straße ein und beginnt mit der Suche nach der Hausnummer. Nummer zwölf findet er erst ein Stück weiter, gegenüber von einem kleinen Flecken Grün. Ein paar Hundehalter reden miteinander, während ihre Tiere sich auf der Wiese balgen und herumtoben. Ab und an kehren sie zu ihren Herrchen oder Frauchen zurück und schauen, ob es weitergeht. Di Flavio zieht seine Lederjacke aus. Die fast hochsommerlichen Temperaturen machen sie überflüssig. Einen Überfall mit Krankenhausaufenthalt hat er vorgestern Abend nicht eingeplant, sonst hätte er sich mit passenderer Kleidung versorgt.
Über das Klingelschild gebeugt, stößt er fast mit einem herauskommenden Mann zusammen. „Ich suche die Familie Rezzo“, entschuldigt er sich.
„Bitte, im dritten Stock.“ Die Tür wird ihm aufgehalten, und er tritt ein. Nach der grellen Sonne ist es im Treppenhaus angenehm kühl. Das Haus besitzt allerdings keinen Fahrstuhl, und das Treppensteigen bringt di Flavio erneut ins Schwitzen. Die Flurfliesen sind blank gewienert, und auf jedem Absatz stehen Pflanzen. Die Fenster geben den Blick auf die Bäume im Park frei. Das Haus gegenüber, neben dem kleinen Park, schmückt sich mit einem Bild der Stadt Speyer. Die Straße ist schmal.
Di Flavio schnauft, in seinem Kopf rieselt es durcheinander, und ab und an fährt ein Stich durch seinen Schädel, als würde sich jemand einen Spaß daraus machen, ihn zu ärgern. Er entdeckt das Namensschild im dritten Stock und läutet. Drinnen hört er eine Frauenstimme, dann Schritte, und die Tür wird geöffnet. „Frau Rezzo? Mein Name ist di Flavio, ich bin ein Freund Ihres Mannes aus Tropea, erinnern Sie sich? Wir haben uns vor zwei Jahren, als Sie dort mit Ihrem Mann den Urlaub verbrachten, kennen gelernt. Luigi wollte mich dringend sprechen. Da ich ihn Telefonisch nicht erreichen kann und gerade in der Nähe war, dachte ich, ich klingle einfach. Ist er zu Hause?“
Ein misstrauischer, fast hasserfüllter, aber auch unendlich trauriger Blick aus intelligenten, braunen Augen trifft ihn. Er kennt diesen Ausdruck in den Augen nur zu gut. Er hat ihn oft gesehen. Ihm wird bewusst, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmt. Hat Luigi Eheprobleme und wollte ihm davon erzählen? Wollte er sich von seiner Frau trennen? Oder wollte er sich einfach mal aussprechen? Sich jemandem anvertrauen, der einigermaßen neutral ist? In welcher Sache sucht er seinen Rat?
„Kommen Sie rein.“ Luigis Frau führt ihn einen schmalen Korridor entlang in ein längliches Zimmer, in dem ein runder Esstisch die eine Ecke einnimmt und eine große Eckcouch die andere. Gegenüber der Sitzecke steht ein großer Plasmafernseher.
„Luigi“, jetzt schluchzt die Frau verhalten und fingert aus der Hosentasche ein bereits etwas mitgenommenes Papiertaschentuch hervor, um sich damit die Augen abzutupfen. Anscheinend sind es nicht die ersten Tränen, für die das Tuch herhalten muss. Di Flavio erkennt, dass die Augen der Frau gerötet und verquollen sind. Luigis Frau ist klein, ein wenig rundlich gebaut und, wäre nicht der verzweifelte, etwas bittere Zug, der ihre Mundwinkel nach unten ziehen würde, sie wäre als hübsch zu bezeichnen. Dunkle Augen, schön geschwungene, kräftige
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