Tatort Oktoberfest (German Edition)
Aufgabe ist“, sie hebt ihre Stimme an, wie es der Moderator bei den Boxkämpfen immer macht, um anschließend eine längere Pause einzulegen, „ist …“ Das Publikum im Zelt tobt erneut und stampft mit den Füßen auf den Boden. Sie wartet, bis die Leute nach und nach ruhiger werden und im Zelt Stille einkehrt. Ochshammer hält unwillkürlich die Luft an und japst auf, als sie weiterspricht.
„Alles jubelt, alles lacht. Wo wird die Schadenfreude groß geschrieben? Ja, wo?“ Wieder folgt ein Tusch und danach eine Pause. „Wir wissen es, und unsere Kandidaten?“ Sie schaut Ochshammer an, und er wischt schnell mit einem Tuch über sein Gesicht, um Zeit zu gewinnen. In seinem Kopf herrscht Leere, alle werden schadenfroh lachen, wenn … „Noch acht, noch sieben, zählt alle mit: noch sechs, noch fünf, noch vier, noch drei Sekunden. Die Uhr läuft …: Noch zwei, eins …“ Nach der unnatürlichen Stille bricht der Lärm wieder los, alle toben und beginnen, mit den Maßkrügen auf die Tische zu hämmern.
Endlich fängt sein Verstand wieder an, normal zu reagieren. Er sieht Kopitzki in einer der Reihen mit den Armen einen Kreis beschreiben und würgt heraus: „Das Teufelsrad, seit 1908 eine Attraktion auf der Wiesn.“
„Das war knapp, aber gerade noch rechtzeitig, Herr Ochshammer, oder darf ich einfach Martin zu Ihnen sagen? Sie sind heute dran und werden eine Stunde lang die Schadenfreude am Kochen halten und den Anheizer spielen. Haben Sie es schon einmal ausprobiert? Nein? Heute bekommen Sie Ihre Chance! Sie können zeigen, was in Ihnen steckt. Erst werden Sie auf der Scheibe gegen die Zentrifugalkraft kämpfen müssen. Wir sind gespannt, wie lange Sie den Fliehkräften trotzen können. Je länger Sie sich behaupten, desto mehr Zeit wird Ihnen als Rekommandeur erlassen. Entschuldigt, für unsere auswärtigen Zuhörer muss ich dies, glaube ich, erklären. Der Rekommandeur ist eine Art Moderator, der den Geschicklichkeitstest, den die Probanden auf dem Rad absolvieren, nicht immer respektvoll, um es vorsichtig auszudrücken, kommentiert. Keine Bange, Herr Ochshammer, Martin, jetzt schauen Sie nicht so sorgenvoll! Auch wenn Sie schneller hinausfliegen als Sie denken können, ist noch nichts verloren. Mit witzigen und schlagfertigen Ansagen können Sie die fehlenden Minuten wettmachen. Wir alle verfolgen die Aktion, oder?“
Ein vielstimmiges „Ja“ ertönt.
Trotzdem legt sie noch nach, als würde sie Ochshammer schon jetzt eine Lektion erteilen wollen. „Ich höre noch nichts. Sind wir dabei?“ Sie hält das Mikrofon ins Publikum und bedeutet allen mit den Armen, laut zu schreien. „Ja, so ist es gut. Halt, das ist noch nicht alles, freuen’s sich nicht zu früh, Herr Ochshammer. Zusätzlich müssen Sie so viele Spenden wie möglich zusammenbringen. Da seid’s ihr auch gefordert, unterstützt euren Kandidaten, unterstützt die Kindernothilfe. Ein Herz für Ochshammer, ein Herz für Kinder.“ Sie wirft einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. „Noch zehn Minuten, dann beginnt der Countdown.“ Sie hebt den Maßkrug. „Krüge hoch.“
Die Kapelle intoniert „Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit“. Alle singen: „Oas, zwoa, drei – g’suffa.“ Die Menge im Zelt tobt. Auf der Leinwand taucht die Außenfassade des Teufelsrades auf. Eine Fernsehassistentin bedeutet ihm und Claudia mitzukommen und schleust sie durch die Tische zu einem Seitenausgang. Als er draußen steht, bleibt ihm keine Zeit durchzuatmen, weil die junge Frau sie antreibt: „Kommen Sie, schnell.“ Er verdrängt den Gedanken an die nächsten Minuten und eilt hinter der jungen Frau her. Neben ihm hastet Claudia durch die dunklen Seitengänge. Mehr als einmal tritt er auf irgendwelche Gegenstände, die am Boden liegen und flucht. Er hört Claudia lachen. „Gehört der Weg hier ebenfalls schon zum Wettkampf?“
„Über den Hauptweg bekomme ich Sie jetzt nicht zum Teufelsrad, da ist es schon zu voll, und dann werden alle ein Autogramm wollen und die Sendezeit … Sie verstehen“, entschuldigt sich die Assistentin ernst und genervt.
„Scherzo“, beruhigt Claudia sie.
Ochshammer ist nicht zum Scherzen zumute. Ihm ist schlecht. Die Vorstellung, große Reden schwingen zu müssen, schlägt ihm auf den Magen. Als er, bevor er das Zelt verließ, zu Kopitzki schielte, hob dieser den Daumen. Der ist gut, der braucht nur im Publikum zu sitzen und nicht wie er zu schwitzen. Hoffentlich komme ich da raus, ohne mich allzu sehr
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