Tatort Oktoberfest (German Edition)
einigen Schritten Entfernung die Schankkellner zu sich. Zusammen mit den Bedienungen scharen sie sich um ihren Chef. Die Schenke liegt verwaist da. Das ist Ludwigs Chance. In einer Sekunde ist er bei der Tür, öffnet sie einen kleinen Spalt, drängt sich hindurch, schließt sie wieder und ist in der nächsten Sekunde bei den riesigen Stahlbehältern im hinteren Raum gelandet. Noch immer ist die eine Wand in grellem Rot und die andere in giftigem Grün gestrichen. Anders als damals steht heute die Tür zum Nebenraum mit dem gelben Schild: „Warnung vor Gasansammlungen – Erstickungsgefahr – Beim Betreten des Raumes Tür offen lassen“, die seine Neugier bereits beim ersten Besuch reizte, offen. Vorsichtig schaut er sich im Raum um. Die damals noch draußen in einer Ecke lehnenden Gasbehälter stehen jetzt in einer Reihe. Sich an Luigis Erklärungen erinnernd, befingert er die Leitungen, die, alle sorgfältig befestigt, in den Schankraum führen. Perfekt, murmelt er. Wieder stößt er sich an dem Schild „Achtung Lebensgefahr“, das er übertrieben findet. Die Luft riecht ein wenig anders als normal. Ist es das? Riecht Gas so? Stammt der Geruch nicht eher von den Bierausdünstungen, die sich mit dem der Holzbodens vermengen? Schade, dass er Luigi nicht mehr fragen kann. Sofort sieht er wieder die toten Augen vor sich. Seine Finger tasten nach dem Handy in der Hosentasche. Es ist noch da, hat die engen Taschen der weißen Uniformhose ein wenig ausgebeult. Glatt und kühl fühlt es sich an.
Als er das Smartphone aus der Tasche ziehen will, um es abzuwischen und um ein Versteck hinter den Gasbehältern zu suchen, streift ihn ein Luftzug. Er duckt sich, drückt sich in die hinterste Ecke der Kammer. Schritte poltern über die primitiv gezimmerten Holzbretter des Bodens. Er wagt keinen Mucks, automatisch gleitet das Handy wieder in die Versenkung der Tasche. Die Tür schließt sich. Der Riegel wird außen vorgeschoben. Ihn umgibt Dunkelheit. Er ist verwirrt. Angst erfasst ihn. Vor Panik kann er keinen klaren Gedanken fassen. Er greift sich an die Kehle, schnappt nach Luft. Seine Lungen scheinen mit Gas gefüllt.
Als die Panikwelle abebbt, wühlt er wie wild in seinen Taschen. Bis auf das Handy und ein Papiertaschentuch sind sie leer. Er zerrt an dem Stoff. Es handelt sich nicht um seine ihm vertrauten Jeanstaschen. Seine fahrigen Hände stoßen weder auf das vertraute Taschenmesser noch auf die Streichhölzer, die Schnur oder das Stück Draht. Keiner der Gegenstände, die er sonst mit sich herumschleppt, kann ihn retten. Selbst sein Handy steckt in der anderen Hose. „Ick bin och richtig bekloppt“, flucht er. Er wiegt Luigis Handy in der Hand. Soll er mit ihm Hilfe holen? Er verwirft die Idee. Die Polizei. Sie wird ihn sofort verhaften. Von einem Gefängnis in das andere? Keine besonders verlockende Alternative.
Er kauert sich auf den Boden, wartet. Der Bauchladen mit den Souvenirs fällt ihm ein, waren darin nicht wenigstens Streichhölzer? Dann kann er irgendetwas suchen, das sich zum Öffnen der Tür eignet. Oder er kann ein Loch in die Holzwand schnitzen. Aber ohne Licht? Er tastet den Boden ab, um den Kasten zu sich heranzuziehen, bis ihm bewusst wird, dass er ihn draußen abgestellt hat. Er durchforstet seine Jackentaschen. Die Finger seiner linken Hand stoßen auf ein Zündholzbriefchen.
„Ist das Ihr Ernst? Ich soll mich für die nächste Einstellung umziehen?“ fragt Claudia etwas ungehalten.
Die Regisseurin nickt ohne die Miene zu verziehen, um dann mit schmeichelnder Oberlehrerstimme zu sagen: „Es ist besser, Claudia. Die Zuschauer wollen Show, und dazu gehört, dass Sie immer wieder anders aussehen, etwas anderes anhaben. Tausende von Frauen beneiden Sie um diese Möglichkeit, wünschen sich, in Ihrer Rolle zu stecken. Außerdem, wir hatten das doch im Vorfeld beschlossen, oder? Sie hatten mir zugesichert, dass das kein Problem für Sie darstellen würde.“
„Passt scho“, fügt sich Claudia in ihr Schicksal. „Ich ging davon aus, dass ein Garderobenwechsel ausreicht. Aber gut, meine Wohnung ist in der Nähe. Eine meiner Angestellten kann mir rasch ein weiteres Dirndl vorbeibringen.“ Sie greift sich ihr Handy. „Sandra, bitte geh in meine Wohnung. Schnapp dir irgendeines von den Dirndln, die da rumhängen. Meinetwegen das mit der lila Schürze, das ich vorher schon in Erwägung gezogen habe. Es liegt auf dem Sessel im Schlafzimmer. Krall es dir mit allem Drum und Dran und bring es mir
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