Tatort Oktoberfest (German Edition)
nicht zum Umzug erschienen ist, Herr Ochshammer?“ Ein Mikrofon taucht plötzlich vor seinem Gesicht auf, und die Frau, die es hält, lächelt ihm zu und erwartet offensichtlich eine Antwort.
„Wie, was?“ stammelt er, um dann schnell zu sagen: „Ich hätte mich sehr gefreut, neben Claudia zu sitzen und diesen herrlichen Trachtenumzug zu genießen.“ Er lächelt, denn langsam weiß er, dass Lächeln das Einfachste ist, wenn man eine Kamera vor sich hat. Die Frau nickt und spricht in das Mikro, er braucht eigentlich nichts zu sagen, denn die Radiofritzen und auch die vom Fernsehen hören sich am liebsten selbst reden. Er schmunzelt, als ihm einfällt, dass es mit den Frauen ebenso ist. Man muss nur lächeln und sie reden lassen, dann schwärmen sie hinterher, welch ein interessanter Mann man sei. Jedenfalls war es damals so, als er Gisela kennen lernte. Jetzt ist er etwas aus der Übung, dabei würde er schon gern wieder einmal mit einer Frau, mit einer richtigen Frau, einer wie seiner Gisela, reden.
„Danke, Herr Ochshammer, wir sehen Sie und Claudia nachher bei der Krinoline, und wir sind alle gespannt, welche Aufgabe Claudia heute lösen muss. Sie sicher auch?“
„Natürlich.“ Wieder schmunzelt er.
„Das war der Kandidat Ochshammer vom Trachtenumzug, wir melden uns später wieder von der Krinoline, ich wünsche Ihnen allen weiterhin viel Spaß für den heutigen Tag“, hört er die Radioreporterin noch sagen, wobei sie schon weiter unten steht und ihn glücklicherweise nicht mehr im Auge hat. Er nimmt sich vor, Kopitzki auf jeden Fall im Visier zu behalten und lehnt sich das erste Mal an diesem Morgen entspannt zurück.
„Wir treffen Sie am Eingang Theresienwiese und begleiten Sie bis zur Krinoline, Frau Fioretti“, meint die nette Regieassistentin von gestern. „Bitte bereiten Sie sich darauf vor.“
Wird gemacht, denkt Claudia und versucht auf dem kurzen Weg von ihrer Wohnung zum Wiesn-Eingang alle dunklen Gedanken so weit wie möglich von sich zu schieben. Immerhin ist dies eine ihrer Stärken. Sie kann sich auf den Moment einstellen und ist mit ihrer ganzen Persönlichkeit da, ohne sich ablenken zu lassen. Mehr als einmal ist ihr diese Gabe schon zugute gekommen: bei den Kochshows, die sie alle zwei Wochen für das Fernsehen veranstaltet, aber auch im Restaurant, wenn es heiß hergeht. Die Rosen fallen ihr ein, die ein etwas kümmerliches Dasein in ihrer Küche fristen, wo sie sie vergessen hat.
Ebenso wie ihn. Sie ist dabei, auch ihn fast schon zu vergessen wie die Rosen. Und so wird es ihr gar nichts ausmachen, wenn er heute bei ihrem zweiten Auftritt mit seiner Frau am Arm auftaucht und so tut, als würde er sie nicht kennen. Natürlich wird er ihr einen Zettel zustecken, auf dem steht: „Ich liebe dich.“ Noch vor einigen Tagen hätte sie ihm geglaubt. Doch die Dinge haben sich geändert. Er liebt nicht sie, er liebt nicht seine Frau, er liebt nur sich. Und jemand, der nur sich selbst liebt, ist es nicht wert, geliebt zu werden.
Aber vielleicht ist sie zu hart. Vielleicht ist er nur jemand, der sich nicht entscheiden kann, der nicht verlieren will, was er sich aufgebaut hat, und zu diesem Bau gehört die Frau, mit der er alles begonnen hat und die er sicher früher auch geliebt hat und vielleicht, ja, vielleicht sogar noch im Grunde seines Herzens liebt. Aber er hat sie irgendwann nur noch als Inventar gesehen, und ihre Liebe ist blind geworden, und er hat eine andere gesucht, die leuchtet, die glitzert, die spannend ist, und in dem Moment ist er ihr begegnet, und sie ist darauf hereingefallen, dass er so einsam erschien, und hat ihn getröstet.
Es gab schöne Stunden, sicher, aber sie waren immer flüchtig. Ihr fiel es am Anfang gar nicht auf, denn sie wollte es so, hatte gar keine Zeit für mehr, aber dann nach ein, zwei Jahren, als er sich immer, wenn sie sich an ihn kuscheln wollte, verabschiedet hat, ist sie unglücklich geworden. Selbst Schuld, wird er sagen, du wusstest doch, dass ich verheiratet bin, und dass ich mich nie von meiner Frau trennen würde. Wusste sie das wirklich? Nein, natürlich nicht. Sie sagte zwar: „Bitte mach keinen Unsinn, lassen wir es so, denn es wird dir zu viel Schwierigkeiten bereiten“, aber eigentlich hoffte sie, er würde sagen: „Für dich ist mir keine Schwierigkeit zu groß, ich trenne mich, ich spreche mit meiner Frau, denn ich liebe dich, nicht sie.“ Okay, genau das hat er nicht getan. Aber jetzt ist alles anders, und sie kann nicht
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