Tatort Paris - Wich, H: Tatort Paris
Jetzt war sie schon genauso ängstlich wie Kim.
Beim zweiten Gang – paniertem Fisch mit Salzkartoffeln – wurde sie trotzdem unruhig. Schnell nahm sie ein paar Bissen und sah auf die Uhr. Schon eine Viertelstunde war vergangen! Höchste Zeit, dass sie den Abflug machte.
Mit einem gequälten Gesichtsausdruck legte sie Gabel und Messer auf den Teller.
Das war das Signal für Kim. »Was ist los, Marie?«
Marie rieb sich stöhnend den Magen. »Ich weiß nicht, mir ist auf einmal so komisch.«
»Hast du den Fisch nicht vertragen?«, fragte Franzi.
Marie hob hilflos die Schultern. »Kann schon sein. Eigentlich hab ich nur eine Allergie auf Meeresfrüchte, aber vielleicht …« Sie krümmte sich und stand schnell auf. »Tut mir leid, ich glaub, ich muss …«
»Du Arme!«, rief Verena.
»Können wir dir irgendwie helfen?«, fragte Luise.
Marie schüttelte den Kopf. Sie sog die Luft ein und machte ihre Wangen ganz hohl. Das hatte sie mal im Schauspielunterricht geübt. Die Vorstellung schien ziemlich überzeugend zu sein. Alle am Tisch sahen sie mitleidig an.
»Danke, ich muss nur … zur Toilette …« Damit rannte sie fluchtartig los. Als sie an Toms Tisch vorbeikam, registrierte sie aus den Augenwinkeln, dass er so beschäftigt mit dem Essen war, dass er gar nicht bemerkte, wie sie den Raum verließ. Wunderbar, das klappte ja wie am Schnürchen!
Die Eingangshalle und das Treppenhaus waren menschenleer. Marie huschte die Treppe hoch und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Auf der obersten Stufe im dritten Stock blieb sie keuchend stehen und musste erst mal Luft holen. Dann lief sie mit zitternden Knien den Flur entlang. Ganz hinten gab es nur eine Tür. Ein großer Zettel klebte daran. Der Reiseleiter hatte auch hier einen doofen Spruch hinterlassen.
Hier wohnt Tom.
Keine Angst, ich beiße nicht!
Klopft einfach an und kommt rein.
Marie grinste. Na warte, dachte sie, dir werden die Sprüche schon noch vergehen!
Aber jetzt hatte sie keine Zeit, um über Tom nachzudenken. Sicherheitshalber drehte sie sich noch mal um. Kein Mensch zu sehen.
Marie beugte sich zum Schlüsselloch hinunter und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Schnell holte sie ihr Einbrecherset heraus. Heute brauchte sie nur den Dietrich: einen hauchdünnen Draht, der sich in jede Richtung biegen ließ. Marie bog den Draht zu einer Schlaufe. Dann schob sie ihn vorsichtig ins Schlüsselloch hinein. Ein kleiner Ruck hier und ein kleiner Ruck da, das müsste es eigentlich gewesen sein – aber nichts bewegte sich. Okay, noch mal in die andere Richtung. Wieder rührte sich nichts! Marie spürte, wie ihre Hände feucht wurden.
Ruhig bleiben, ganz ruhig, sagte sie sich vor, du hast das im Griff. Sie versuchte, sich an sämtliche Varianten zu erinnern, die sie zusammen mit ihrem Vater ausprobiert hatte. Drei Varianten blieben ohne Erfolg. Bei der vierten hatte Marie endlich Glück. Das Schloss knackte, drehte sich, und wie von selbst schwang die Tür auf.
Na, also, geht doch!, dachte sie.
Schnell schlüpfte sie ins Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu. Ihr Herz klopfte bis zum Hals hinauf. Ein paarmal atmete sie tief durch. Als ihr Puls sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, sah sie sich im Zimmer um. Tom hatte Recht gehabt, es war wirklich sehr klein und unterschied sich kaum von den Unterkünften der Jugendlichen. Stuhl, Tisch, Schrank, Bett und Waschbecken sahen nicht viel anders aus als im Zimmer der drei !!!. Die wenigen Unterschiede in der Einrichtung bestanden darin, dass der Reiseleiter nicht nur die Dusche für sich allein, sondern auch eine eigene Toilette hatte. Außerdem standen auf dem Tisch ein Telefon und ein Faxgerät. Auf Letzteres konnte Marie locker verzichten, wozu gab es heutzutage schließlich Handys?
Erst auf den zweiten Blick fiel ihr auf, wie ordentlich Tom war. Auf dem Bord über dem Waschbecken hatte er seine Kosmetika peinlich genau in einer abgezirkelten Linie nebeneinander aufgestellt. Zwei Paar Schuhe standen hinter der Tür, auf Hochglanz poliert und mit Schuhspannern versehen. Als Marie den Schrank aufmachte, fand sie, fein säuberlich auf den Bügeln aufgehängt, zwei Kordhosen und vier Hemden, und im Fach darüber die exakt auf Kante gestapelte Unterwäsche. Marie überprüfte mit der Taschenlampe, ob es irgendwelche Geheimfächer oder doppelten Böden gab. Nichts, weder im Schrank noch im Koffer! Aber dafür gab es einen kleinen Safe oben im Schrank. Marie versuchte, ihn zu öffnen –
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