Tatortreiniger gesucht: Die schrägsten Berufe der Welt
Edgar Allan Poe in einer sehr schwachen Stunde ausgedacht haben könnte, ist natürlich eine reine Groteske, die mit den tradierten Behauptungen spielt, dass Tony Blair die Queen nicht leiden konnte und die Monarchie möglichst bald abschaffen wollte. Bis zum Beweis des Gegenteils müssen wir davon ausgehen, dass Mr. Blair niemals mit einer Fackel durch den Tower schlich, doch die Sache mit den Raben und der tiefen Stimme hat schon irgendwie ihre Berechtigung. Denn im Tower von London leben seit geraumer Weile tatsächlich sechs Raben (sogar sieben, inklusive des Ersatzmanns), denn ein angeblich aus dem Mittelalter stammendes Sprichwort lautet: »Wenn die Raben den Tower von London verlassen, wird die Krone fallen und Großbritannien mit ihr.« Und da niemand ernstlich die Krone runterschmeißen will und Großbritannien gar nicht so recht weiß, wohin es noch fallen könnte, beherbergt der Tower ganz offiziell die besagten Raben.
Ganz freiwillig leben die Tiere dort übrigens nicht, denn da ihre Flügel akkurat gestutzt werden, reicht es bestenfalls zu einigen Hüpfern im Hof der altehrwürdigen Burg, in der auch die Kronjuwelen ihr tristes Dasein fristen. Die Flucht per Flug ist jedenfalls (fast) unmöglich.
Ursprünglich allerdings dienten die Raben nicht unbedingt dekorativen Zwecken und waren nicht einmal besonders gern gesehene Gäste. Es wird nämlich behauptet, dass sie vom Leichengeruch jener angelockt wurden, die dem Königshaus nicht genehm waren und folgerichtig gerne mal einen Kopf kürzer gemacht wurden. Bei der Hinrichtung von Anne Boleyn im Jahr 1536 waren sie anwesend: »Selbst die Raben des Towers saßen still und unbeweglich in den Zinnen und starrten unheimlich auf die seltsame Szene. Eine Königin wird sterben!«, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht, der – ganz im Stil jener Tage – nicht eben mit Pathos spart. Die ersten dort absichtlich gehaltenen Raben lebten dort vermutlich zur Zeit des Königs Charles II., der von 1660 bis 1685 regierte. Die erste schriftliche Erwähnung der fröhlichen Flattermänner stammt jedoch erst aus dem Jahr 1859. Das Buch »The Tower from Within« von George Younghusband sieht den Ursprung der Raben sogar erst im 19. Jahrhundert, und im Zweiten Weltkrieg überlebte nur ein einziges Tier die deutschen Bombenangriffe auf London.
Übrigens: Von den erwähnten Einschränkungen der Bewegungsfreiheit einmal abgesehen, geht es den Raben im Tower ziemlich gut. Farblich mittels Bändern am dürren Bein gekennzeichnet, haben sie durch den offiziell ernannten Rabenhüter eine ganz persönliche Ansprache und speisen wesentlich opulenter als ihre Artgenossen in Freiheit. In einem Interview mit der BBC im Jahr 2007 erzählte Rabenmeister Derrick Coyle, dass er den Tieren frisches Lamm, Rindfleisch, Hühnchen und Leber besorgt, aber auch ab und zu einmal überfahrene Tiere am Straßenrand mitnimmt – auch für unsereinen bekanntlich immer wieder ein echter Gaumen- und Augenschmaus … Im Winter bekommen die Tiere zusätzlich Lebertran, und jeden zweiten Tag gibt’s ein gekochtes Ei und kleingeschnittene Äpfel oder Trauben. Damit ernährt sich jeder einzelne dieser Raben mutmaßlich gesünder als der menschliche Durchschnittsbrite, dessen einheimische Küche in anderen Ländern Europas als Völkermord begriffen wird. Nicht umsonst lautet das bekannte Sprichwort: »In England essen und dann sterben.« Oder jedenfalls ganz ähnlich.
Die Raben gelten offiziell als Soldaten des Königreichs, und wie Soldaten können sie auch entlassen werden, wenn sie sich schlecht benehmen. So wurde zum Beispiel 1986 der Rabe George in den vorzeitigen Ruhestand nach Wales geschickt, weil er mutwillig die Fernsehantenne des Towers angegriffen und zerstört hatte. Ein unverzeihlicher Akt der Aggression, doch möglicherweise wurde das Tier auch dadurch provoziert, dass es Funkwellen vom »Haus am Eaton Place« empfing und diese nicht länger ertragen konnte. Man weiß es nicht.
Wie andere Soldaten können die Raben übrigens auch desertieren. So gelang es zum Beispiel einem Tier trotz seiner gestutzten Flügel, den Tower zu verlassen und sich fortan in einem Pub einzunisten. Das Tier hieß übrigens Grog.
Ein typischer Tag des Rabenhüters? Er beginnt in der Morgendämmerung: Derrick Coyle begrüßt jeden Raben mit Namen und lässt sie aus den Käfigen, in denen sie die Nacht verbringen. Dann beziehen die Tiere ihre Territorien auf den Rasenflächen des Towers – halb fliegend,
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