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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Halsband. Man hatte ihm einen Bindfaden umgebunden. Er schien gefangen, aber herrenlos zu sein. Heinz prahlte: er habe die Amiwagen schon gelenkt, er könne das alle Tage, wenn er nur wolle: »Meine Mutter geht mit einem Neger.« Der dunkle Freund, der schwarze Ernährer der Familie, die gabenspendende und dennoch fremde und störende Erscheinung in der Wohnung beschäftigte ihn unaufhörlich. An manchen Tagen log er den Neger aus seinem Leben weg. »Was macht euer Neger?« fragten die jungen. »Weiß nicht. Gibt keinen Nigger«, sagte er dann. Ein ander Mal trieb er eine Art Kult mit Washington, beschrieb seine enorme Körperkraft, seinen Reichtum, seine Bedeutung als Sportsmann, um am Ende den Kameraden den letzten Trumpf entgegen zu schleudern, der alle Leistungen des bedeutenden schwarzen Mannes erst in das rechte persönliche Licht rückte, den Trumpf, daß Washington mit seiner Mutter lebe. Die Gefährten kannten die oft berichtete Geschichte, sie erzählten sie selber zu Hause weiter, aber sie warteten dennoch immer wieder mit einer Spannung wie im Kino auf die Pointe, diesen nicht zu schlagenden Trumpf: er geht mit meiner Mutter, er ißt bei uns am Tisch, er schläft in unserem Bett, sie wünschen, daß ich Dad zu ihm sage. Das kam aus Tiefen der Lust und der Pein. Heinz konnte sich an seinen an der Wolga verschollenen Vater nicht erinnern. Eine Photographie, die den Vater in grauer Uniform zeigte, sagte ihm nichts. Washington konnte ein guter Vater sein. Er war freundlich, er war freigiebig, er strafte nicht, er war ein bekannter Sportler, er trug eine Uniform, er gehörte zu den Siegern, er war für Heinz reich und fuhr einen großen horizontblauen Wagen. Aber gegen Washington sprach die schwarze Haut, das auffallende Zeichen des Andersseins. Heinz wollte sich nicht von andern unterscheiden. Er wollte genau wie die andern jungen sein, und die hatten weißhäutige einheimische überall anerkannte Väter. Washingtonwar nicht überall anerkannt. Man redete mit Mißachtung von ihm. Einige machten sich über ihn lustig. Manchmal wollte Heinz Washington verteidigen, aber dann wagte er nicht, eine andere Meinung als die vielen zu haben, die Erwachsenen, die Landsleute, die Gescheiten, und er sagte: »Der Nigger!« Man sprach häßlich über Carlas Beziehung zu Washington; man scheute sich nicht, in Gegenwart des Kindes gemeine Bezeichnungen zu gebrauchen; doch am meisten haßte es Heinz, wenn man ihm mit falschem Mitleid über den Kopf strich und plärrte »armer Junge, du bist doch ein deutscher Junge«. So war Washington, ohne es zu ahnen (doch vielleicht ahnte er es, wußte es sogar und ging Heinz aus dem Wege, scheu und den Blick ins Leere gerichtet), Sorge für Heinz, Ärger, Leid und ein dauernder Konflikt, und es kam, daß Heinz Washington mied, nur noch widerstrebend seine Geschenke annahm und selten und ohne Lust in dem bewunderten und prächtigen Auto fuhr. Er trieb sich herum, er redete sich ein, die Schwarzen und die Amis, sie alle zusammen zu verabscheuen, und um sich für eine Haltung, die er im Grunde für feige hielt, zu quälen und um zu beweisen, daß er's selber aussprechen konnte, womit die anderen meinten, ihn unterzukriegen, krähte er unermüdlich sein »Sie geht mit einem Nigger«. Als er sich von Ezra aus dem einem Flugzeug so sehr ähnelnden Wagen beobachtet fühlte, brüllte er in ziemlich geläufigem Englisch (das er von Washington und nur zu dem Zweck gelernt hatte, um die Gespräche seiner Mutter mit dem Neger zu belauschen, um zu hören, was sie vorbereiteten, was ja auch ihn anging, die Reise nach Amerika, die Ausundheimwanderung, von der er, Heinz, nicht wußte, ob er sie antreten wollte oder nicht, vielleicht würde er darauf drängen, mitgenommen zu werden, vielleicht würde er sich verstecken, wenn alles gepackt war): »Yes, she goes with a nigger.«
Heinz hielt den Hund am Bindfaden. Der Junge und der Hund waren wie zusammengebunden. Sie waren wie zweiverurteilte zusammengebundene arme Schlucker. Der Hund zerrte von Heinz weg. Ezra beobachtete Heinz und den Hund. Es war ihm, als träume er alles. Der Junge, der rief: »Yes, she goes with a nigger«, der an den Bindfaden gefesselte Hund, das Reiterdenkmal aus grün dunklem Erz waren unwirklich, sie waren kein wirklicher Junge, kein wirklicher Hund, kein wirkliches Denkmal; sie waren Ideen; sie hatten die leichte schwindlig machende Transparenz der Traumfiguren; sie waren Schatten, und zugleich waren sie er selbst, der Träumer;

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