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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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rief der Rommelsoldat, »erst waren wir in Kreta eingesetzt. Wir sprangen einfach in sie hinein.« Da war der Hirsch! Jetzt hatte er's durchschaut, Wildtöteraugen! Die schwarze Hand war flinker als der Zaubertrick der gelben Eidechsen. Odysseus griff zu. Er hatte die Würfel. Diesmal waren es die rechten, die gezinkten, die ausgeheckten, die das Glück brachten, die listig immer wieder vertauschten. Er schlug sie aufs Holz: Sieg! Er warf sie aufs neue und warf wieder das Glück. Er stieß mit den Ellbogen. Die Griechen wankten zurück. Odysseus' Rücken deckte den Tisch. Der Tisch war die Front. Er feuerte Serien ins Holz, ein Bombardementdes Glücks: Häuptling Odysseus König Odysseus General Odysseus Generaldirektor Mister Odysseus Cotton Esquire. »Wir säuberten die Weißen Berge. Wenn wir ins Tal runtergingen, brauchten wir geballte Ladungen, im Gestrüpp das Messer, Tommys und Rosinenkacker. Wir haben das Kretaschild bekommen.« - »Scheiß drauf!« -»Sagst du -« - »Ich sage scheiß drauf. Krieg war in Rußland. Alles andere sind Jungensgeschichten. Zehnerlhefte mit bunten Deckeln. Romantik, Mensch! Bunte Deckel! Mal 'ne nackte Hur und mal 'n Fallschirmspringer mit Todesblick. Dasselbe, Mensch! Ich werd' meinem Jungen den Arsch versohlen, wenn er's nach Hause bringt.« Die Stimme im Musikkoffer sagte: »Cypern.« Cypern war strategisch wichtig. Die Stimme sagte: »Teheran.« Die Stimme sagte nicht Schiras. Die Stimme erwähnte nicht die Rosen von Schiras. Die Stimme sagte nicht Hafis. Die Stimme kannte Hafis den Dichter nicht. Hafis hatte für diese Stimme nie gelebt. Die Stimme sagte: »Oil.« Und wieder war Rauschen, Lautrauschen, dumpfes Silbengeplätscher, der Strom der Geschichte rauschte vorüber, Josef saß am Ufer des Stroms, der Alte, der Müde, der Abgekämpfte, noch blinzelnd nach Abendglück, unverständlich war der Strom, unverständlich das Geplätscher, einlullend das Silbenrauschen. Die Griechen trauten sich nicht an ihre Messer. Der weiße Hirsch war ihnen entwischt. Der schwarze Odysseus war ihnen entkommen: listiger großer Odysseus. Er gab Josef Geld, das Bier zu bezahlen. »Zuviel, Mister«, sagte Josef. »Nix: zuviel money«, sagte Odysseus. Die Kellnerin steckte den Schein ein: Glanz und Gnade von Odysseus. »Komm«, rief Odysseus. »Appell an den Haag«, sagte die Stimme. Die Stimme wurde von Josef getragen, WILHELM II. FRIEDENSKAISER STIFTET FÜR DEN HAAG, von Josef geschüttelt, er schüttelte mit seinem Altmännergang das Geriesel der großen Worte. Der Strom der Geschichte floß. Zuweilen trat der Strom über die Ufer. Er überschwemmte das Land mit Geschichte. Er ließ Ertrunkenezurück, er ließ den Schlamm zurück, die Düngung, das stinkende Mutterfeld, eine Fruchtbarkeitslauge: wo ist der Gärtner? wann wird die Frucht reif sein? Josef folgte klein und blinzelnd, auch er im Schlamm, noch immer im Schlamm, schon wieder im Schlamm, folgte dem schwarzen Gebieter, dem Herrn, den er sich für diesen Tag erwählt hatte. Wann war Blütezeit? Wann kam das goldene Zeitalter, die hohe Zeit -
    Er war ein Hochzeiter. Die horizontblaue Limousine hielt vor dem Mietshaus, in dem Carla wohnte. Washington hatte Blumen gekauft, gelbe Stengel. Als er aus dem Wagen stieg, drang die Sonne durch den verhangenen Himmel. Das Licht reflektierte in der Karosserie der Limousine und ließ die Blumen schwefelgelb blühen. Washington fühlte, wie man ihn aus den Fenstern des Mietshauses beobachtete. Die kleinen Bürger, die hier in vielen Parteien wohnten, in jedem Raum drei, vier Menschen, jedes Zimmer ein Käfig, im Zoo hauste man geräumiger, die kleinen Bürger drückten sich gegen die oft gestopften und immer wieder gestärkten Gardinen und stießen einander an. »Blumen bringt er ihr. Siehst die Blumen. Daß er sich nicht -.« Aus irgend einem Komplex erboste es sie, daß Washington Blumen ins Haus brachte. Washington allein wurde verhältnismäßig wenig beachtet; er war ein Mensch, wenn auch ein Neger. Beachtet wurden die Blumen, gezählt wurden die Pakete, die er trug, erbittert wurde das Auto betrachtet. Das Auto kostete in Deutschland mehr als ein kleines Haus. Es kostete mehr als das Häuschen am Stadtrand, nach dem man sich ein Leben lang vergeblich sehnte. Max sagte es. Max mußte es wissen. Max arbeitete in einer Garage. Die horizontblaue Limousine vor der Haustür war eine Herausforderung.
Ein paar alte Frauen hatten sich über das Treiben in der Wohnung im dritten Stock beschwert. Die

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