Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
Vom Netzwerk:
junge schrie: »Das war Ezra!« Ezra überflog das Dach des Central Exchange und stieg steil in die Höhe. Als er hoch über der Stadt war, warf er eine Bombe. WISSENSCHAFTLER WARNEN VOR ANWENDUNG .
Ein kleines Mädchen wischte den Staub vom horizontblauen Lack einer Limousine. Das kleine Mädchen arbeitete eifrig; man konnte meinen, es putze das himmlischeFahrzeug eines Engels. Heinz hatte sich versteckt. Er war auf den Sockel des Denkmals geklettert und hockte unter dem Pferd des Kurfürsten. Die Geschichtsschreiber nannten den Kurfürsten den Frommen. In den Religionskriegen war er für den rechten Glauben ins Feld gezogen. Seine Feinde kämpften ebenso für den rechten Glauben. In der Frage des Glaubens gab es dann auch keinen Sieger. Vielleicht war der Glaube allgemein besiegt worden, indem man um ihn kämpfte. Der fromme Kurfürst aber war durch den Krieg ein mächtiger Mann geworden. Er war so mächtig geworden, daß seine Untertanen nichts zu lachen hatten. Heinz kümmerte sich nicht um den Glaubensstreit und die Macht des Fürsten. Er beobachtete den Platz.
Es war eine Nation von Autofahrern, die sich breit machte. Die Wagen parkten in langen Reihen. Wenn ihnen das Benzin ausginge, würden sie hilflose Kutschen sein, Hütten für Schäfer, wenn man nach dem nächsten Krieg Schafe weiden sollte, Verstecke für Liebespaare, wenn man sich nach dem Tod noch zur Liebe verstecken mochte. Jetzt waren die Wagen blank und flink eine stolze Automobilausstellung, ein Triumph des technischen Jahrhunderts, eine Saga von der Herrschaft des Menschen über die Kräfte der Natur, ein Symbol der scheinbaren Überlistung der Trägheit und des Widerstandes im Räume und in der Zeit. Vielleicht würden die Wagen eines Tages zurückgelassen werden. Sie würden wie Leichen aus Blech auf dem Platz bleiben. Man würde sie nicht fahren können. Man würde sich rausnehmen, was man brauchen konnte, ein Polster für den Hintern. Der Rest würde rosten. Frauen, Frauen modisch und burschikos gekleidet, Frauen damenstolz und jungenhaft, Frauen in olivgrünen Uniformen, weibliche Leutnants und weibliche Majore, keß geschminkte Backfische, sehr viel Frauen, dann Zivilangestellte, Offiziere und Soldaten, Neger und Negerinnen, sie alle gehörten zur Besatzung, sie bevölkerten den Platz, sie riefen, lachten, winkten, sie lenkten die schönen das Lied des Reichtums summenden Automobile geschicktzwischen die schon parkenden Fahrzeuge. Die Deutschen bewunderten und verabscheuten den rollenden Aufwand. Einige dachten ›unsere marschierten‹ In ihrer Vorstellung war es anständiger, in einem fremden Land zu marschieren, als zu fahren; das Marschieren kam ihrer Auffassung vom Soldatentum entgegen; es entsprach besser den ihnen eingeprägten Spielregeln, von Landsern als von Herrenfahrern bewacht zu sein. Die Herrenfahrer waren wohl freundlicher, die Landser mochten rauher sein; darauf kam es nicht an; es ging um die Spielregeln, um die Einhaltung der bei Krieg, Sieg und Niederlage überlieferten Gepflogenheiten. Deutsche Offiziere, die sich als Stadtreisende durchschlugen und mit ihrem Musterköfferchen auf die Straßenbahn warteten, ärgerten sich, wenn sie gewöhnliche amerikanische Soldaten wie reiche Touristen in bequemen Polstern grußlos an ihren Vorgesetzten vor über fahren sahen. Das war Demokratie und Unordnung. Die luxuriösen Wagen gaben der Besatzung einen Anstrich von Übermut, Frevel und Sybaritentum.
Washington näherte sich seiner horizontblauen Limousine. Er war der Engel, für den das kleine Mädchen das himmlische Gefährt blankgerieben hatte. Die Kleine knixste. Sie knixste und wischte mit ihrem Tuch über den Wagen schlag. Washington schenkte ihr Schokolade und Bananen. Er hatte die Schokolade und die Bananen für das kleine Mädchen gekauft. Er war Stammkunde des kleinen Mädchens. Heinz unter dem Pferd des frommen Kurfürsten feixte. Er wartete, bis Washington abgefahren war, dann kletterte er vom Sockel. Er spuckte gegen die Tafel mit dem in Erz gegossenen Verzeichnis der Siege des Kurfürsten. Er sagte: »Das war der Nigger meiner Mutter.«
Die Kinder guckten Heinz respektvoll an. Er imponierte ihnen, wie er dastand, spuckte und sagte: »Das war der Nigger meiner Mutter.« Das fleißige kleine Mädchen war zum Denkmal gekommen und aß nachdenklich eine vom Neger-seiner-Mutter geschenkte Banane. Der junge Hundbeschnupperte die weggeworfene Bananenschale. Das kleine Mädchen beachtete den Hund nicht. Der Hund trug kein

Weitere Kostenlose Bücher