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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Miss Burnett auf dem Platz der Nationalsozialisten geäußert hatte, hatte nicht auch sie die Menschen mit Tauben oder mit Vögeln verglichen und ihr Dasein als zufällig und gefährdet geschildert? Miss Wescott blickte überrascht auf Miss Burnett. War der Gedanke, daß der Mensch sich gefährdet und als Objekt des Zufalls empfand, so allgemein, daß ihn der verehrte Dichter und die viel weniger verehrte Lehramtskollegin fast gleichzeitig äußern konnten? Miss Wescott verwirrte das. Sie war keine Taube oder sonst ein Vogel. Sie war ein Mensch, eine Lehrerin, sie hatte ein Amt, auf das sie sich vorbereitet hatte und immer wieder vorbereitete, sie hatte Pflichten, und sie suchte sie zu erfüllen. Miss Wescott fand, daß Miss Burnett hungrig aussah; ein seltsam hungriger Ausdruck lag in Miss Burnetts Gesicht, als habe die Welt, als hätten Edwins Erleuchtungen sie schrecklich hungrig gemacht. Philipp dachte ›jetzt wendet er sich Goethe zu, es ist fast deutsch, wie Edwin sich jetzt auf Goethe beruft, auf das Gesetz-nach-dem-wir-angetreten, und er sucht wie Goethe die Freiheit in diesem Gesetz: er hat sie nicht gefundene. Edwin hatte sein letztes Wort gesprochen. Die Lautsprecher knirschten und knackten. Sie knirschten und knackten weiter, als Edwin geendet hatte, und das wortlose Knirschen und Knacken in ihren zahnlosen Mündernriß die Zuhörer aus Schlaf, Traum und abwegigem Denken.
    Die Steine, die Steine, die sie geworfen hatte, das klirrende Glas, die fallenden Scherben erschreckten die Menge. Die Älteren fühlten sich an etwas erinnert; sie fühlten sich an eine andere Blindheit, an eine frühere Aktion, an andere Scherben erinnert. Mit Scherben hatte es damals begonnen, und mit Scherben hatte es geendet. Die Scherben, mit denen es endete, waren die Scherben ihrer eigenen Fenster gewesen. »Hört auf! Wir müssen es doch bezahlen«, sagten sie. »Wir müssen's doch immer bezahlen, wenn etwas kaputt geht.« Christopher hatte sich vorgedrängt. Er wußte nicht recht, um was es ging, aber er hatte sich vorgedrängt. Er stellte sich auf einen Stein und rief: »Seid doch vernünftig, Leute!« Die Leute verstanden ihn nicht. Aber da er die Arme so schützend ausgebreitet hielt, lachten sie und sagten, es sei der heilige Christopherus. Auch Richard Kirsch war vorgelaufen. Sein Fräulein hatte gemahnt »kümmere dich nicht darum, misch dich nicht ein, es geht dich nichts an«, aber er war doch vorgelaufen. Er war bereit, mit Christopher zusammen Amerika zu verteidigen, das schwarze Amerika, das hinter ihm lag, das dunkle Amerika, das sich hinter zerbrochenen Fenstern und wehenden roten Vorhängen versteckte. Die Musik hatte aufgehört zu spielen. Die Mädchen kreischten. Sie riefen um Hilfe, obwohl ihnen niemand etwas tat. Der Luftzug, der durch die zersplitterten Fenster drang, legte sich wie eine Lähmung auf die schwarzen Soldaten. Sie fürchteten nicht die Deutschen. Ihr Schicksal, das sie verfolgte, die lebenslängliche Verfolgung, die sie auch in Deutschland nicht freigab, verfinsterte und lähmte sie. Sie waren entschlossen, sich zu verteidigen. Sie waren entschlossen, sich auf dem Boden des Clubs zu verteidigen. Sie würden kämpfen, sie würden in ihrem Club kämpfen, aber die Lähmung hinderte sie, sich in das Meer zu stürzen, in das Meer der weißen Menschen, in dieseweiße See, die meilenweit um ihre kleine schwarze Insel brandete. Die Sirenenwagen der Polizei rückten an. Man hörte ihre gellenden Rufe. Man hörte Pfiffe, Geschrei und Gelächter. »Komm«, sagte Susanne. Sie kannte einen Ausweg. Sie nahm Odysseus an die Hand. Sie führte ihn durch einen dunklen Gang, an Mülltonnen vorbei über einen Hof und zu einer niedrigen eingestürzten Mauer. Susanne und Odysseus kletterten über die Mauer. Sie tasteten sich durch eine Ruine und erreichten eine verlassene Gasse. »Schnell!« sagte Susanne. Sie eilten die Gasse entlang. Das Geräusch ihrer Schritte wurde übertönt vom unaufhörlichen Heulen der Sirenen. Die Polizei drängte die Menge zurück. Ein Kordon der Militärpolizei stellte sich vor den Eingang des Clubs. Wer den Club verlassen wollte, wurde kontrolliert. Christopher fühlte sich von einer kleinen Hand von seinem Stein gezerrt. Vor ihm stand Ezra. Sein Anzug war zerrissen, seine Hände und sein Gesicht waren verschrammt. Hinter Ezra stand ein fremder Junge; auch seine Kleider waren zerrissen, auch sein Gesicht und seine Hände waren verschrammt. Ezra und Heinz waren auf die Steine der

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