Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
versuchen das ein andermal, wenn wir beide nüchtern sind, und dann sehen wir, wie’s läuft, aber nicht so. Nicht heute, nicht jetzt. Besoffener Sex sollte als Abwechslung vom nüchternen Sex dienen, nicht als Ersatz dafür. Mann, du siehst klasse aus. Ich kann selbst nicht glauben,
dass ich das sage, aber ich gehe jetzt, bevor ich tue, was ich eigentlich tun will. Mein Gott, du siehst … Gute Nacht.«
»Ich will, dass du bleibst«, sagte sie.
Ich verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Das Teufelchen auf meiner Schulter schrie: »Was machst du denn da?« Deshalb wusste ich, dass ich das Richtige tat.
Zwanzig
Irgendwann ganz früh morgens legte sich Angie zu mir auf die Couch. Da war gerade noch genug Platz für ihren winzigen Körper, aber nur, weil sie ein Bein um meines schlang. Sie trug eines von Pops Smokinghemden. Ihr Alkoholschweiß und der Geruch von Pops Kleiderschrank erzeugten ein verwirrend vertrautes Potpourri. Ich legte meinen Arm um sie, sonst nichts. Und das tat ich vor allem, um sie abzusichern, denn sie lag gefährlich nah an der Kante. Ihr Arm umklammerte fest meinen Oberkörper.
Die nächste Stunde war Himmel und Hölle zugleich. Himmel, weil Angie so nah war und ich Vorfreude verspürte wie bei einer ersten Verabredung. Unser Körper aneinandergeschmiegt. Ihre warme Haut. Erinnerungen eines ganzen Lebens zum Leben erweckt. Die Hölle war, mit aller Kraft eine Erektion zu vermeiden. Ich fürchtete, ein Ständer hätte falsche Signale gesendet und diesen Moment vielleicht kaputtgemacht. Ich bin viel romantischer, als ich zugeben möchte.
Hellwach und um eine Ablenkung verlegen, ging ich noch einmal die Zeit durch, die ich mit Yolanda verbracht hatte. Mir war wichtig, dass ich ihr Gesicht noch sehen konnte. Ihr lebendiges Gesicht, nicht das am Grund des Wassertanks. Das würde ich nie
vergessen. Ihr kurzes, aber wichtiges Gastspiel in meinem Leben war es wert, dass ich mich daran erinnerte.
Ich dachte an das erste Mal zurück, als ich Yolanda gesehen hatte, wie sie aus Alejandros Bus stieg. Wie ich ihre ungeheure Präsenz bestaunt hatte. Wie wir ungezwungen und ruhig den Morgen miteinander verbracht hatten. Unsere Zeit zusammen bestand nicht aus Gesprächen, sondern aus Augenblicken. Wie Pop strahlte, als er sie sah. Ich wusste, da war mehr zwischen ihnen gewesen als ein paar Schäferstündchen. Etwas viel Bedeutenderes, als ich je erfahren würde. Unfreiwillig machte sie mir klar, dass ich Pop nicht so gut kannte, wie ich dachte. Der Abend nach dem Besuch bei Pop war nicht das letzte Mal, dass ich sie gesehen hatte. Ich sah sie bei Pops Trauerfeier. Aber unser letzter privater Augenblick war, als wir uns an dem Abend verabschiedeten. Der sanfte Kuss und ein leises Bedauern, als sie in Alejandros Bus stieg. Als wäre ihr die Endgültigkeit unseres Abschieds bewusst gewesen.
Sie hatte ihre Reisetasche nicht dabei.
Diese Erkenntnis löste bei mir eine körperliche Reaktion aus. Ich versuchte aufzustehen, aber mein Arm war unter Angies Gewicht eingeschlafen. Ich musste ihn mit der anderen Hand anheben und schütteln, bis ich ein Kribbeln spürte und mein Arm wieder durchblutet wurde.
Als Yolanda Pop besuchte und als sie im Haus war, hatte sie eine kleine Reisetasche dabei. Aber als sie wieder in Alejandros Bus stieg, hatte sie nichts dabei.
Wenn sie einfach ihre Reisetasche vergessen hätte, hätte ich sie gesehen. Sie würde irgendwo auf den Bergen von Durcheinander stehen. Wenn sie sie nicht vergessen hatte, gab es nur eine Möglichkeit: Sie hatte sie absichtlich zurückgelassen. Sie hatte sie versteckt. Sie hatte vorgehabt, sie später zu holen. Sie war zu Pops Trauerfeier gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, aber war sie noch aus einem anderen Grund gekommen? Um ihre Tasche abzuholen?
Wo war sie? Was war drin?
Ich schüttelte Angie leicht, was kaum mehr als ein tiefes Stöhnen und einen schmerzhaften Faustschlag auf meine Schulter
auslöste. Umständlich versuchte ich, mich unter ihr herauszuzwängen, worauf sie noch mehr stöhnte, aber schließlich rutschte ich raus und rollte auf den Boden.
Ich schleppte mich zur Küche und versuchte, so leise wie möglich Kaffee zu machen. Aber alles Bemühen, leise zu sein, war vergeblich, denn draußen knallten die Schrotflinten. Offenbar fängt der frühe Vogel nicht nur den Wurm, sondern wird anschließend dafür auch noch abgeknallt.
Als ich mich mit meiner ersten Tasse schwarzem Kaffee hinsetzte, ging ich alles noch
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