Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
sie.
»Was? Ich verstehe die Frage nicht ganz. Wohin?«
»Dein Vater ist tot. Das tut mir leid. Aber wegen ihm bist du doch zurückgekommen. Wegen Jack. Das ist erledigt. Gehst du wieder fort? Haust du jetzt ab?«
»Du bist betrunken. Wir können morgen darüber reden, wenn du willst. Da ist noch das Haus und das Land und die Sache mit dem Jungen, also …«
»Das ist keine Antwort. Du hast meine Frage nicht beantwortet. Gehst du wieder fort?«
Dann war Schweigen zwischen uns. Doch ihre Geduld siegte, und weil ich mich unbehaglich fühlte, antwortete ich.
»Ich weiß es nicht.«
»Du weißt es nicht«, sagte sie.
»Es ist so viel passiert und so schnell. Ich will erst mal drüber schlafen und hoffe, dass ich morgen früh klarer sehe.«
»Du weißt es nicht?« Jetzt war es eine Frage.
»Ich gehe auf jeden Fall nicht so bald fort.«
»Wenn du weggehst, wohin dann? Wohin gehst du? Gibt’s da irgendwelche Leute? Gibt’s da Leute, die auf dich warten?«
»Ich habe doch gerade gesagt, ich weiß es nicht. Ehrlich nicht.«
»Weißt du, du hast mich nicht einmal gefragt, was ich gemacht habe. Was ich die ganze Zeit gemacht habe, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Aber ich werd’s dir sagen. Nachdem es mit uns zu Ende war, so nach einem halben Jahr, um ehrlich zu sein, habe ich nicht mehr so oft an dich gedacht. Vielleicht ab und zu, ja, aber nicht oft. Es war schön mit uns, was wir hatten, sehr schön, aber das Leben geht weiter. Dann hatte ich eine festere Beziehung, bin weggezogen und wieder hergezogen. Aber als du plötzlich im Pflegeheim aufgetaucht bist …«
Sie verstummte und ließ ein gewaltiges Schweigen zwischen uns stehen.
»Was?«
»Ich will nicht, dass du gehst.«
Ich starrte sie an und versuchte, mir das warme Gefühl, das in mir aufstieg, nicht anmerken zu lassen. Sie sah mich an, als wollte sie mich. Betrunken neigte sie sich nach vorn.
Sie lächelte. Dieses Lächeln kannte ich. Es war ein bisschen neckisch, aber vor allem war es ein entschlossenes Lächeln. Als hätte sie einen Entschluss gefasst, den sie amüsant fand. Dieses Lächeln hatte mir schon immer Angst gemacht.
»Du bist betrunken«, versuchte ich, das Thema zu ändern.
Sie nickte zustimmend. »Wir waren seit der Highschool nicht mehr allein in diesem Haus.«
Da hatte sie recht. Ich lachte bei der flüchtigen Erinnerung an die alten Zeiten. Warum konnten wir nicht für immer jung bleiben?
»Erinnerst du dich an das letzte Mal?«, fragte sie, noch immer das Lächeln auf den Lippen.
»Ich denke jeden Tag daran, seit ich weggegangen bin.«
Angie beugte sich vor und umarmte mich so heftig, dass meine gerade verheilenden Rippen schmerzten. Ich hielt sie nicht davon ab und ließ mir die Schmerzen nicht anmerken.
Nach einer Minute ließ sie mich los, knuffte mich am Arm, sagte mir, ich sollte mich verpissen, und ging nach hinten. Ich sah ihr nach, bis sie im hinteren Schlafzimmer verschwunden war. Ich holte ein paar saubere Laken und Kissenbezüge aus dem Wäscheschrank.
»Tut mir leid wegen der Klimaanlage. Hoffentlich ist es dir nicht zu heiß«, sagte ich, als ich das Schlafzimmer betrat.
Angie saß auf der Bettkante und ihre Füße reichten nicht ganz bis zum Boden. Sie war völlig nackt, leicht zurückgelehnt, die Beine geschlossen und die Arme zu beiden Seiten auf dem Bett. Ihre braune Haut weckte Erinnerungen wach, in die ich eintauchen wollte.
»Hoffentlich ist es dir nicht zu heiß«, sagte sie. Das war Berechnung. Sie wusste, dass mich lahme Witze antörnen. Sie legte es wirklich drauf an.
Ich hätte sie gern angeschaut, aber um es zu vermeiden, starrte ich stattdessen auf meine Füße. Zaghaft legte ich die Laken auf die Ecke des Betts und blieb dabei bewusst außer Reichweite. »Ein bisschen zu heiß«, sagte ich.
Geziert klopfte sie neben sich auf die Matratze.
Ich versuchte, ihr fest in die Augen zu schauen, konnte aber nicht anders, als einen kurzen Blick auf ihre Brüste zu werfen. Und den Rest ihres Körpers. Vielleicht auch mehr als einen kurzen Blick. Angie war mit den Jahren noch schöner geworden. Sie sah hinreißend aus. Ich versuchte, mich auf ihr Gesicht zu konzentrieren, aber ich bin auch nur ein Mann, verdammt!
»Nicht, wenn du betrunken bist«, sagte ich.
»So betrunken bin ich nicht«, sagte sie betrunken.
»Doch. Mach’s dir im Bett gemütlich. Ich decke dich zu. Träume von mir. Mehr habe ich im Moment nicht zu bieten. So viele unanständige Träume, wie du willst. Wir
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