Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
ihm sich einen Schein nahm und ihn unter dem Tisch einem der Mädchen zuschob. Sie setzte ein lüsternes Lächeln auf, um ihr Unbehagen zu überspielen. Schließlich zog er die Hand wieder unter dem Tisch hervor, beschnüffelte kurz seine Finger und nahm einen Schluck von seinem Drink. Tomás starrte ihn etwas länger
an als nötig und wandte sich dann wieder dem Mädchen neben ihm zu. So viel zu dem Jungen, dem ich das Radfahren beigebracht habe.
Das Mädchen gab Bobby sein Glas Bier. Bobby zahlte und sie ging zurück zur Theke. Bobby sagte: »Ich werde mich nicht entschuldigen.«
»Wofür?«, fragte ich.
Dann kippte Bobby das volle Bierglas in meinen Schoß.
»Hast du sie noch alle?«, schrie ich fast und richtete mich halb in meinem Stuhl auf.
»Besser, du stinkst nach Bier als nach Pisse.«
»Ich bin total durchnässt«, sagte ich und zog den tropfenden Stoff meiner Hose von meiner nassen Haut weg.
»Später wirst du mir noch danken.«
»Ja, und jetzt kannst du mich mal!«
Ich war noch nicht so weit, mit Tomás zu reden. Ich brauchte eine Pause. So viel Aufregung wie in der vergangenen Stunde hatte ich schon lange nicht mehr gehabt. Ich konnte mich zwar langsam dafür erwärmen, aber es war auf jeden Fall anstrengend. Also tat ich, was man in einem Laden wie dem Cachanilla’s so tut. Ich trank und sah dabei den Ladys auf der Bühne zu.
Die Frau auf der Bühne tanzte zu ihrem ersten Lied. Es war ein corrido , den ich nicht erkannte. Aber ich war so sehr in meiner eigenen Kultur gefangen, dass die sich für mich sowieso alle gleich anhörten. Sie war zwischen dreißig und vierzig und tanzte voll bekleidet. Was sie anhatte, sah aus wie ein Abschlussballkleid aus Goldlamé von zirka 1985. Sie schien nicht drauf aus, uns scharf zu machen, und tanzte mit konzentriertem Desinteresse, während sie sich selbst im Spiegel auf der anderen Seite des Raums beobachtete. Sie wiegte und drehte sich, als würde sie Ware vorführen, was sie ja im Grunde auch tat. Während des ganzen Lieds zog sie nicht ein einziges Kleidungsstück aus.
Der zweite Song war Ace of Spades . Doch selbst bei Motörheads erhöhtem Tempo tänzelte sie weiter sehr behäbig vor sich hin. Ganz
am Ende des Stücks zog sie ihr Kleid aus. Nicht langsam, nicht verführerisch. Sondern sie machte unbeholfen den Reißverschluss am Rücken auf und ließ den schweren Stoff zu Boden fallen. Sie tat es so kunstfertig, dass ich das verknitterte Kleid am Boden anstarrte statt ihren nackten Körper.
Das dritte Lied war ausgerechnet Baby, Baby von Amy Grant. Sie tanzte jetzt nackt, bis auf ihre durchsichtigen Plastikstöckelschuhe. Trotz voller Sicht auf Busch und echte Titten war das einzig Sinnliche ihr Ausdruck absoluter Gleichgültigkeit.
Ich wandte mich zu Bobby, der die Frau auf der Bühne betrachtete. »Hör mal«, sagte ich, »es tut mir leid, dass ich dir ein Klotz am Bein bin. Ich war nur so lange nicht mehr hier und ich gewöhn mich einfach nicht ein. Ich bin nicht so wie du. Mir fällt so was nicht so leicht.«
Bobby schüttelte den Kopf und grinste wie jemand, dessen Geduld von einem kleinen Kind oder einem Hund auf die Probe gestellt wird. »Wovon in Teufels Namen redest du überhaupt?«, fragte er.
»Ich kann nicht einfach über die Grenze gehen und die Menschen anders sehen, Mexikaner und Amerikaner als unterschiedlich ansehen. Für mich sind Menschen einfach nur Menschen«, sagte ich.
Das Lied war zu Ende und die Frau verließ die Bühne. Bobby wandte sich mir zu: »Du redest totale Scheiße. Du bist genauso ein Rassist wie ich.«
»Das hat mit Rassismus nichts zu tun. Ich hab mich nicht richtig ausgedrückt. Es geht um Mexiko, das Land. Überleg doch mal, wo wir sind, … was wir hier gerade machen. Mir hat ihr Tanz gefallen. Meinst du, sie tanzt gern hier? Oder tut sie’s vielleicht nur, um ihrer Familie Geld schicken zu können oder um zu sparen, damit sie in den Norden auswandern kann, oder einfach nur, um sich was zu essen zu kaufen? Oder ihren Kindern? Das geht mir nicht aus dem Kopf, wenn ich hier unten bin.
Genau wie die verdammten Straßenkinder. Wenn mich irgendwo in den USA ein Sechsjähriger ansprechen würde, würde ich
sofort fragen, wo seine Mutter ist, oder einen Cop suchen oder so. Und hier? Es ist nicht mal, dass ich nicht frage. Ich brauche gar nicht zu fragen, denn ich kenne die Antwort schon. Es hat alles keinen Sinn. Man kann einfach nichts machen.«
Bobby hob abwehrend die Hand. »Seit wann bist du denn so
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