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Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Titel: Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaw Johnny
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dem Kopf auf das Schild. »Hier kommt nie jemand rein.«
    Ich konnte verstehen, warum. Wir betraten die mieseste Kapelle, die ich je gesehen hatte. Da standen vier Kirchenbänke und ihnen gegenüber ein stümperhaft schwarz gesprühter Notenständer, der wohl einen armseligen Altarersatz abgeben sollte. Die Poster von Kirchenfenstern, die in regelmäßigen Abständen mit Heftzwecken an der Wand befestigt waren, konnten einem auch nichts vormachen. Und die Topfpalme in der Ecke, die einen langsamen Tod starb, trug genauso wenig zur Verschönerung des Raums bei. Der Boden um den Topf herum war mit ausgetrockneten, braunen Palmwedeln übersät. Angie und ich setzten uns in die nächste Bank. Unsere Knie berührten sich kurz und wir rückten auseinander.
    »Was ist denn los?«, fragte sie. »Ich besorge gar nichts, bis ich weiß, worum’s geht.«
    »Also gut. Pop hat mich gebeten, ihm eine Prostituierte zu besorgen. Ich bringe sie morgen mit.«
    Angie sagte kein Wort. Sie starrte mir auf den Mund, als hätte sie mich nicht ganz verstanden.
    »Pop hat nicht um das Viagra gebeten, aber ich dachte mir, er könnte welches gebrauchen. Falls es nötig ist. Ich meine, er kann kaum laufen. Deshalb weiß ich nicht, wie gut der Rest funktioniert.« Jetzt brabbelte ich nur noch. »Du musst mir noch einen
Gefallen tun. Ich weiß, es ist viel verlangt. Kannst du dafür sorgen, dass sie nicht gestört werden, wenn sie, du weißt schon, wenn sie hier ist? Wenn sie, du weißt schon, zusammen sind? Dass niemand ins Zimmer kommt.«
    Sie sagte nichts und sah mich nur an, als wäre ich verrückt. Sie atmete hörbar aus. »Moment. Noch mal. Was willst du deinem Vater mitbringen?«
    »Eine Nutte.«
    »Eine Nutte. Hierher. Du bringst eine Nutte hierher. In ein Genesungsheim?«
    Ich nickte.
    »Und ich soll dir helfen, sie reinzuschmuggeln?«
    »Nein, nein, nein, nichts dergleichen. Warum sollte ich sie reinschmuggeln? Das ist doch kein Gefängnis hier. Sie ist eine ganz normale Besucherin. Wir gehen zusammen auf Pops Zimmer, aber ich gehe dann. Ich will nur, dass du an der Tür Schmiere stehst. Ich will nicht etwas mit anhören müssen, das ich wirklich nicht hören will und das ich dann nie mehr vergessen kann. Du kannst die Schwestern abwimmeln. Ihnen ein bisschen Privatsphäre ermöglichen.«
    »Weißt du, wie lächerlich sich das anhört?«
    »Natürlich. Ja, verdammt, natürlich weiß ich das. Aber das ist mir, ehrlich gesagt, scheißegal. Pop ist todkrank. Er hat nicht mehr lange.«
    Ich hielt inne. Ich hatte es noch nie laut ausgesprochen, und jetzt traf es mich wie ein Schlag. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Mir wurde leicht übel.
    Ich fuhr fort und sprach langsam und abgehackt, um nicht zu stammeln: »Warum ist das so befremdlich? Er möchte etwas menschliche Nähe. Woher bekommt er die sonst? Welche Alternative hat er denn?«
    Angie sagte nichts und starrte nur den Notenständer an. Ich drückte mit den Fingern auf meinen Nasenrücken. Es tat höllisch weh, aber es half mir, mich wieder unter Kontrolle zu bringen. Ich wischte mir übers Gesicht, und es fühlte sich nass an.
    »Okay«, sagte sie und nickte ein paar Mal kurz.
    »Danke.«
    Sie nahm meine Hand und drückte sie. »Wir müssen uns noch aussprechen. Aber jetzt ist nicht die Zeit. Du sorgst dich um deinen Vater. Es tut mir leid um Jack und dass du das durchmachen musst. Das hätte ich dir schon längst sagen sollen.« Sie sah mich an. »Wenn ich hier bin, wenn ich arbeite, lasse ich nichts an mich ran. Ich schalte da irgendwas an. Oder eher ab. Hier stirbt mindestens einmal die Woche jemand. Ich bleibe auf Distanz. Ich mag deinen Vater. Und verdammt, Jimmy, dich mag ich auch. Es tut mir leid, was du mitmachst. Manchmal vergesse ich, dass ich es hier mit Menschen zu tun habe.«
    »Das musst du einfach«, sagte ich verständnisvoll.
    »Aber du bist mein Freund. Du hattest recht. Trotz der langen Zeit, trotz unserer Probleme, trotz allem sind wir Freunde. Egal, ob ich sauer auf dich bin, du bist immer noch mein Freund. Es sollte mir was ausmachen, dich leiden zu sehen. Es ist total daneben, dass es erst jetzt was mit mir macht. Und es ist total daneben, dass ich nicht mal gemerkt habe, wie sehr du leidest.«
    In dem Moment wollte ich sie umarmen. Ich wollte sie küssen. Beides tat ich nicht. Ich saß nur mit ihr in dieser beschissenen Kapelle und hielt ihre Hand. Hielt ihre Hand und wünschte, alles wäre anders. Wünschte das Unmögliche.
    Das Haus war halbwegs

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