Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
alles, was aus der Natur kam, besser wäre. Ich ließ ihr ihren Glauben. Sie war wunderschön und sexuell anpassungsfähig. Wie kam ich denn dazu, ihr zu sagen, dass es keinen Weihnachtsmann gab?
Ich wollte ihr sagen, nur weil etwas natürlich war, nur weil es aus ihrer geliebten Natur kam, sei es noch lange nicht gut. Schlangenbisse sind natürlich. Gift ist natürlich. Grippe ist natürlich. Und Krebs ist natürlich. Klar, Blumen sind hübsch. Aber für jede Blume gibt es eine Krankheit oder ein Unheil oder ein Ungeheuer. Die Natur ist nur schön, wenn man Grausamkeit schön findet. Die wahre Schönheit der Natur sieht man in einem Wirbelsturm, brutal zerstörerisch, ohne Gewissen oder Reue.
Seit er ins Genesungsheim Harris gekommen war, war Pop nicht oft aufgestanden. In seinem Körper steckten Schläuche, die den Gang zur Toilette unnötig machten. Essen und Medizin wurden ihm gebracht. Er lief nur, wenn er wollte. Und normalerweise wollte er nur jeden zweiten Freitag, wenn in der Cafeteria Bingo gespielt wurde.
Pop hatte gesagt: »Jeder alte Sack, der sich langweilt, fängt irgendwann an, Bingo zu spielen.«
Ich glaube, er fand Bingo eigentlich öde und nicht besonders anspruchsvoll. Aber trotzdem humpelte er jeden zweiten Freitag durch den Flur zum Bingo. Er war wackelig auf den Beinen und musste sich alle zwölf Schritte mit der Hand auf meiner Schulter ausruhen.
Yolandas Besuch war etwa zwei Wochen her. Ich beschloss, länger zu bleiben und mit Pop ein bisschen Bingo zu spielen. Ich hatte ihn gefragt, welche Preise es für die Sieger gab, aber er hatte nur gelacht und gesagt: »Man darf damit prahlen und bekommt eine Extratasse Tapioka. Offiziell.« Dann sah Pop sich verschwörerisch um. »Aber Dallas Lowrie hat letzten Monat fünfzig Mäuse gewonnen. Bei einer Nebenwette. Es geht nur um die Nebenwetten. Ein paar von den Langzeitpatienten reden über erbitterte Gefechte von vor fünf Jahren, als ginge es um den Boxkampf zwischen Chacon und Limón.«
Wenn Pop sein Zimmer verließ, trug er nie einen Kittel oder einen Bademantel. In der Öffentlichkeit wollte er angezogen sein »wie ein Mann, nicht wie ein Invalide«.
Ich half also meinem Vater beim Anziehen.
Er verlagerte sein Gesicht und benutzte die Hände, um seine Beine zum Bettrand zu bewegen. Ich half ihm in eine locker sitzende Hose. Er nahm sich selbst sein Hemd. Er fingerte ungeschickt an jedem einzelnen Knopf herum. Ich merkte, dass er genervt war, aber man merkte auch, dass es ihm wichtig war, es selbst zu tun. Dann noch ein Paar Sportsocken und Tennisschuhe, und Pop und ich waren bereit, zum Bingo am anderen Ende des Gebäudes rüberzugehen.
Pop rutschte am Bettrand entlang und seine Füße berührten zaghaft den Boden. Er sondierte das Terrain. Zuerst die Zehenspitzen, dann setzt er die Füße flach auf. Dann hielt er inne und hielt mit beiden Händen die dünne Bettdecke fest. Er sah mich an. Dieser Blick in seinen Augen. Ich hatte Pop noch nie so traurig gesehen. Noch nie im Leben. Nicht mal annähernd. Er sah zutiefst erschüttert aus. Als wäre etwas in ihm zerbrochen. Es war wie der Blick eines kleinen Jungen, der mit ansehen musste, wie sein Hund von einem rasenden Auto überfahren wurde.
»Ich kann nicht laufen«, sagte er und seine Stimme klang eher verwirrt als traurig.
Ich griff ihn am Ellbogen, um ihn zu stützen. »Du schaffst es«, sagte ich.
»Nein, Jim. Ich schaffe es nicht. Meine Beine schaffen es nicht.« Pop sah hinunter auf seine Füße, als wären sie Verräter. »Ich glaube, ich brauche einen Rollstuhl.«
Ich rannte schnell in den Flur, aber da war niemand. Dann lief ich schnell zum Foyer, wo ich schließlich eine Schwester herbeiwinkte, die gerade aus einem Zimmer kam. Sie erklärte mir, wo auf der anderen Seite des Gebäudes die Rollstühle standen.
Ich brauchte zu lange.
Als ich mit dem Rollstuhl zurückkam, lag Pop am Boden. Er war vom Bett gerutscht. Warum hatte ich ihn nicht zurück aufs
Bett gesetzt? Ich hatte nur das Wort »Rollstuhl« gehört und mich an die das Einzige geklammert, was ich tun konnte.
Ich ging zu ihm. Pop schüttelte mich mit schwacher Hand ab. »Alles in Ordnung, ich bin nur gefallen. Nichts gebrochen.« Sein ehrliches Lächeln sagte mir, dass er sich wirklich nicht wehgetan hatte. »Du hast eine tolle Slapstick-Einlage verpasst. Ich bin auf einem Bein ausgerutscht und das ist hoch in die Luft geflogen. Eher Buster Keaton als Charlie Chaplin.«
Ich hob ihn mit so viel Schwung hoch,
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