Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
dass ich ihn fast an die Decke geworfen hätte. Ich hatte damit gerechnet, dass er schwerer wäre, aber er war leicht wie eine Feder. Und seine Haut … Seine Haut war schlaff und weich. Sie fühlte sich an wie warme, rohe Hühnerhaut, die von seinem Körper herunterhing und zwischen meine Finger fiel.
Ich lächelte, als wäre nichts, und setzte Pop in den Rollstuhl. Aber eigentlich wollte ich schreien. Ich wollte aus dem Zimmer rennen und nie mehr zurückkommen. Ich wollte einem Wildfremden ins Gesicht schlagen. Ich wollte explodieren.
Niemand sollte seinen Vater tragen müssen. Der Vater sollte einen tragen.
Es fällt mir schwer, es zuzugeben, aber in diesem Moment, als ich das Gefühl hatte, nur den Geist meines Vaters in den Armen zu halten, ging mir etwas Schreckliches durch den Kopf. Ich wollte, dass Pop stirbt. Ich versuchte, mir einzureden, dass es mir darum ging, dass Pop nicht mehr leiden müsste. Dass ich ihm die Würdelosigkeit des Sterbens ersparen wollte. Ich bin mir sicher, dass das mit hineinspielte. Ich musste mit ansehen, wie es ihm von Tag zu Tag schlechter ging. Aber das Leiden sollte auch für mich ein Ende haben. Alles andere wäre gelogen. Meine eigenen egoistischen Gründe nagten an mir. Ich wusste nicht, wie lange ich noch mit ansehen konnte, wie er dahinsiechte.
Mit Pop im Rollstuhl schafften wir es schließlich zum Bingo. Ich glaube, ich habe sogar ein Spiel gewonnen, aber sicher bin ich nicht. Meine Erinnerung an den restlichen Abend ist verschwommen. Ich versuchte, meine Gedanken von Pop abzulenken, aber
mein Hirn spann sie immer weiter. Ich wollte neutrale Gedanken denken und die Übelkeit loswerden, die mich überkam.
Im Lauf der nächsten zwei Wochen verfiel ich in Depressionen. Nicht offensichtlich. Nicht vor Pop. Wir witzelten und lachten weiter, obwohl der große Lacher in weite Ferne gerückt zu sein schien. Wir erfanden neue Spiele. Wortspiele. Witze. Es war eine Herausforderung, aber ich war in der Lage, mein Spielgesicht aufzusetzen, wenn ich mit Pop zusammensaß. Mein Problem war, dass ich abends das Gefühl hatte, alles gegeben zu haben. Wenn ich aus Pops Zimmer kam, war ich vollkommen ausgebrannt.
Dann verlor Pop sein Augenlicht.
Bis dahin hatte ich Pop trotz allen Leidens nie klagen hören. Er respektierte und achtete die Schwestern und anderen Mitarbeiter. Er war immer höflich, jemand, der mit den Worten »Sir« und »Ma’am« groß geworden war. Aber als er blind wurde, bekam ich seine Frustration schließlich mit. Nicht in der Lage zu sein, zu lesen oder Kreuzworträtsel zu lösen, das war die Hölle für Pop. Wir konnten uns zwar unterhalten, aber ich erwartete nicht, ihn noch einmal lachen zu sehen. Wenn ich nicht da war, konnte er nur in seiner Dunkelheit daliegen und Radio hören.
Als ich zu Hause ausgezogen war, um zu studieren, hatte Pop mir nur einen Rat gegeben. Er hatte gesagt, wenn ich meinen Humor verlöre, hätte ich einen Tiefpunkt in meinem Leben erreicht. Er hatte gesagt, wenn ich meinen Sinn für Humor bewahren könnte, würde ich alles überstehen. Darum ging es bei meinen Besuchen. Ich wollte Pop an seinen eigenen Ratschlag erinnern. Ich wollte ihm sagen, er sollte verdammt noch mal keine Trübsal blasen und dass alles nur halb so schlimm wäre. Aber als er mir den Rat gegeben hatte, hatte er so was wie eine Reifenpanne oder Schlussmachen mit einem Mädchen gemeint. Keine wirkliche Krise. Nichts Ernstes. Nichts Tödliches. Was hier passierte, war überhaupt nicht komisch. Es gab nichts zu lachen.
Ich verbrachte mehr Zeit damit, Pop vorzulesen, als mit ihm zu reden. Ich glaube, das war für uns beide einfacher. Ich musste ihm keine gute Laune vorgaukeln, und Pop musste sich nicht an einem
Gespräch beteiligen, was ihm bei seinen schwindenden Kräften offensichtlich immer schwerer fiel. Aber eines Tages, nachdem ich ihm eine Pulp-Fiction-Geschichte von Frank Kane vorgelesen hatte ( Trigger Mortis , glaube ich), da machte Pop den Mund auf.
Es war nur ein Flüstern, und seine Stimme war vom vielen Schweigen rau. »Ich weiß, ich habe gesagt, wir würden nur einmal so ein Gespräch zwischen sterbendem Vater und liebendem Sohn führen, aber ich war nicht ganz ehrlich. Deshalb gibt es noch eine Zugabe.«
»Klar«, sagte ich und beugte mich vor, um auch wirklich alles zu verstehen und damit er mich hören konnte.
»Ich habe nie an Gott geglaubt. So bin ich nicht erzogen worden. Und mein ganzes Leben lang wurde ich immer wieder bestätigt. Ich habe
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