Taubenkrieg
»Der Vize sitzt derzeit in der JVA Bützow wegen Betrugs und räuberischer |82| Erpressung. Seinen Job übernimmt währenddessen der Road-Captain Thorsten Schwarz.«
»Moment«, fiel es Wencke ein. »Das ist dieser Mann mit dem Hundenamen?
Patch Blacky
?«
Kalle lachte. »Hundename? Das lässt du ihn besser nicht hören. Er ist zwar ein Hund, aber ein ziemlich bissiger!«
»War er es nicht, der in der Mordnacht die Polizei gerufen hat?«
Boris nickte. »Ich habe auch noch ein größeres Foto von ihm.« Auf der Leinwand erschien das überdimensionale Porträt des Mannes. Im Grunde hätte es auch jede andere Visage zeigen können, die
Devil Doves
konnten blond oder braun sein, dick oder dünn, alt oder jung, kahl oder langhaarig – sie sahen sich doch irgendwie immer ähnlich. Grimmige Mimik, beanspruchte Haut, Augen, denen eine Ruhepause im geschlossenen Zustand sicher guttun würde.
»Außerdem haben wir noch den Treasury zu bieten.« Wieder ein Foto, wieder so ein Typ.
»Ich werde die Mannschaft gleich persönlich kennenlernen«, sagte Wencke. »So im Großpack kann ich mir die Namen und Gesichter ohnehin nicht merken.«
Von draußen waren Martinshörner zu hören. Zeitgleich wurden das Hupen und Motorjaulen lauter. Boris stellte sich wieder ans Fenster. Die Gruppe war inzwischen auf geschätzte dreißig Rocker angewachsen, sie standen mit ihren beeindruckenden Maschinen am südlichen Ufer des Ziegelsees und machten den Eindruck, als befänden sie sich kurz vor der Explosion. Der Grund dafür offenbarte sich, wenn man Richtung Norden schaute: Ein zweiter Konvoi rollte heran, ob es mehr oder weniger Biker waren, konnte Boris schlecht schätzen. In der Mitte – zwischen den grimmigen Kuttenträgern – demonstrierte mit zwei lächerlichen Einsatzwagen die Polizei ihre Präsenz.
|83| »Kalle, würden Sie mal kurz rausschauen?«
Der hob sich mühsam aus seiner Sitzposition. »Geht’s schon los?« Das Zögern, mit dem Kalle sich dem Fenster näherte, sprach Bände. Der Schreck, als er in den Neuankömmlingen die eigenen Brüder erkannte, ließ seine zur Schau getragene Lässigkeit gänzlich zerbröseln. »Scheiße, jetzt sitzen wir aber richtig in der Höhle des Löwen.«
Von hier oben konnte man fast so etwas wie eine Struktur erkennen, nach welcher die verfeindeten Truppen sich am Ufer positionierten. Schlachtpläne wie zu Barbarossas Zeiten, eine starke Spitze, ein sattes Heer. Boris hatte Mitleid mit den Kollegen dazwischen. Nur bruchstückhaft konnte man die Megafondurchsage verstehen: »Hier spricht die Polizei … umgehend das Gelände zu verlassen … uns gezwungen, härtere Maßnahmen … Zerstreuung dieser Versammlung …«
»So was habt ihr jeden Tag, wenn der Krieg erst mal richtig losbricht«, prophezeite Kalle. »Und glaubt mal nicht, dass einer von denen auf die Bremse geht, wenn mal versehentlich eine alte Oma oder ein süßes Kleinkind zwischen die Fronten gerät.«
»Ist das da unten nicht eine etwas alberne Machtdemonstration?«, fragte Wencke. »Die werden doch jetzt nicht allen Ernstes aufeinander losgehen?«
»Darauf würde ich nicht wetten, Lady. Aber richtig brutal wird es erst hinter den Kulissen, da hast du wahrscheinlich recht. In den nächsten Tagen werden etliche Fäuste fliegen – oder Messer.«
Wenn Wencke sich von diesen Sprüchen verunsichern ließ, dann verstand sie es bestens, sich nichts anmerken zu lassen. Boris bewunderte seine Kollegin einmal mehr. Selbst als das Dröhnen der Motoren wie durch ein unhörbares Kommando anschwoll und die in vorderster Front harrenden Rocker ihre Räder durchdrehen ließen, schaute sie auf die Szenerie, als |84| besuche sie mit ihrem Sohn gerade das Affengehege im Hannoveraner Zoo.
»Was mich viel mehr interessieren würde: Gibt es auch Frauen bei den
Devil Doves
?«
»Klar gibt es die!« Kalle formte mit seinen nikotingelben Fingern einige ausladende Kurven in die Luft. »Für jeden Geschmack.«
Wencke rollte die Augen und zeigte auf die Beamerprojektion: »Ich meine in der Führungsriege. Oder zumindest im offiziellen Mitgliederkader.«
Jetzt musste Kalle sich setzen, das überstieg ganz offensichtlich seine Vorstellungskraft. »Sag mal, hast du überhaupt eine Ahnung, auf was du dich da einlässt?« Er schaute Boris an. »Ich gehe doch recht in der Annahme, dass ihr versucht, diese Frau hier bei meinen Brüdern unterzukriegen.«
Boris nickte. »Als Verpächterin des neuen Clubhauses. Nicht als … na ja
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