Taubenkrieg
richtigen Knöpfchen gedreht, damit wir die Bude übernehmen konnten. Aber die Mädchen werden jetzt von anderen Männern geritten, und die Kohle sacken
Mighty Mäxx
und die Seinen ein. Da hat unser Anwalt keine Aktien drin.«
»Was glauben Sie denn, wer den Mord begangen hat?«
»Ich schon mal nicht!« Kalle trommelte mit den Fingernägeln auf der Tischplatte. »Verdammt, hab ich ’nen Lungenschmacht. Wenn dieses Superweib nicht gleich …«
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Kalles Augen erwachten schlagartig zum Leben, begannen zu glänzen vor Freude. Eine sehr toughe, sehr gut aussehende Frau betrat den Raum. Schwarzes Top, hautenge Jeans, Silberketten und Fransentuch – alles passte. Am beeindruckendsten fand Boris aber die Lederjacke, die wie auf den Leib gegossen saß und so abgewetzt |80| aussah, als habe sie nicht nur eine Tour auf der Route 66 hinter sich. Die Frau fuhr sich einen Hauch zu scheu durch die dunklen, streng zurückgegelten Haare, wie es Menschen machten, die eben vom Friseur kamen und sich mit dem neuen Putz noch irgendwie verkleidet fühlten. Doch Kalle war sicher der Letzte, dem das aufgefallen wäre. Ansonsten ging Wencke Tydmers nämlich als absolute Klassefrau durch. Ihren breiten Mund hatte sie in einem unglaublichen Rot geschminkt, und mit Hilfe von Mascara und Lidschatten wirkten ihre sonst so lustigen Augen überzeugend dramatisch. »’tschuldigung. Da war so viel los rund ums Hotel.« Sie steuerte lässig auf Kalle zu, gab ihm die Hand: »Hallo! Christine Frey.«
Der blieb sitzen, ließ sich sogar noch tiefer in den Stuhl sinken, breitbeinig und betont männlich. Das kam in seinen Kreisen wahrscheinlich gut an, und Wencke ließ sich nicht im Geringsten anmerken, was sie von seiner Hand-ganz-nah-am-Schritt-Geste hielt.
»Ich bin Kalle! Der Zellennachbar von deinem Onkel…«
Wencke grinste. »Auf gute Zusammenarbeit!«
Boris rief die erste Grafik auf. Ein Organigramm, wie es bei einer Stadtverwaltung auch nicht viel anders aussah. »Es gibt unzählige Motorradclubs in Deutschland und der ganzen Welt. Die
Hells Angels
sind wohl die bekanntesten, aber auch die Namen
Bandidos
und
Outlaws
hat wohl jeder schon mal gehört. Was sie alle gemein haben, ist die hierarchische Struktur.«
»Militär ist nichts dagegen«, kommentierte Kalle. »Bei der NVA ging es lockerer zu als bei den
Devil Doves
.«
Boris knipste den Laserpointer an und markierte das obere Kästchen, das wie eine Überschrift wirkte. »Ganz oben steht die internationale Chefriege, die sich, soweit wir informiert sind, größtenteils aus Amerikanern und Kanadiern zusammensetzt. |81| Sie haben zwar keinen direkten Einfluss auf die deutschen Chapter, achten jedoch auf die Einhaltung der ungeschriebenen Gesetze. Die lassen wir erst einmal außer Acht. Konzentrieren wir uns auf die
Devil Doves
hier in Schwerin.« Neben fast jedem Rang war ein Bild des Amtsinhabers eingefügt, allesamt Porträts der Polizeifotografen, auf denen keiner der Abgebildeten bereit war, ein irgendwie sympathisch geartetes Lächeln zu zeigen. »Der Präsident hat das Sagen, aber auch die Verantwortung. Maximilian Brunken, der sich
Mighty Mäxx
nennt, macht das schon seit einigen Jahren. Er hält auch den Kontakt zur internationalen Dachorganisation in den USA, dort sitzen die Gründer der Teufelstauben in ihrem Nest und verwalten das Vermögen, das offiziell durch Mitgliedsbeiträge und Verkauf von Club-Accessoires eingenommen wird.«
»In Wahrheit aber aus illegalen Geschäften stammt, oder?« Wencke schrieb eifrig mit.
»Die Vermutung liegt nahe. Den
DDs
gehören allein im Großraum Schwerin drei Bordelle, dann kommen noch Nachtclubs und Diskotheken dazu. Sie kontrollieren die Szene, sind in Sicherheitsdiensten und als Türsteher zu finden.«
Kalle nickte fast ein bisschen stolz. »Und die Pillen und Pülverchen, die man in den Läden kaufen kann, kommen auch alle aus unserem Apothekerschränkchen. Das ist ein richtiger Bazar: Kokain, Weiber, Kalaschnikows und ausgebaute Harley-Ersatzteile, es gibt nichts, was es nicht bei uns gibt!« Sie hatten Kalle heute dazu genommen, weil er wusste, wo Gefahrenquellen lagen, wo Waffen versteckt wurden oder Feindseligkeiten bestanden. Es war überlebenswichtig, dass Wencke gut vorbereitet war. Ob dieser Kurzlehrgang wirklich ausreichte, sich in dieser gewaltbereiten Männerwelt zurechtzufinden, darüber wollte Boris lieber nicht nachdenken.
Der rote Laser-Punkt lief eine Rangstufe tiefer.
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