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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lüpkes
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meinte er Kalle – und womöglich auch sie selbst? Vielleicht wusste er |158| genau Bescheid, vielleicht hatte er nur eine vage Ahnung, vielleicht bildete sie sich das auch alles nur ein, und er redete einfach so daher.
    Wencke legte sich die Worte zurecht, die hoffentlich naiv genug klangen, ihr noch ein wenig Unschuld verschafften. »Schon schlimm, man kann ja ohnehin niemandem mehr trauen.« Dann schnorrte sie sich eine Zigarette, auf deren Qualm sie eigentlich überhaupt keine Lust hatte, doch sie wollte sich an etwas festhalten. Die Situation war angespannt wie das Drahtseil eines waghalsigen Akrobaten. Erleichtert hörte sie, dass sein Handy den Sound eines Motorrades nachmachte.
    »Sorry«, sagte er, stand auf und fummelte das Gerät aus seiner Westentasche. Mit raschen Schritten entfernte er sich. »Was ist los?«, hörte Wencke ihn noch sagen, danach: »Das ist doch wohl nicht dein Ernst!« Dann war nichts mehr vom Telefonat zu verstehen. Lediglich ein paar Wortfetzen, es klang, als weise er jemanden wenig zimperlich zurecht. »Nikola«, verstand sie mehrmals. Ob er mit seiner Freundin telefonierte? In einem derart harschen Ton? Sie wäre gern hinterhergegangen und hätte ihn weiter belauscht, doch außer dem Weißdornbusch, den sie vorhin als Wendepunkt genutzt hatte, gab es hier keine Möglichkeit, sich in seiner Nähe zu verstecken. Dass seine Bewegungen hektisch waren und seine Gesichtsfarbe nervös gerötet, konnte sie auch aus der Entfernung bestens erkennen. Es musste etwas passiert sein, was ihn fürchterlich aufregte.
    Wencke war überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken, dass dieser Mann womöglich gleich die Beherrschung verlor und sie mit ihm allein war. Die Entscheidung,
Patch
auf diese Spritztour zu begleiten, war nicht ihre cleverste gewesen, wenigstens Boris hätte sie Bescheid geben können. Was, wenn soeben ihre Deckung aufgeflogen war? Dann wäre es klüger, |159| sich sofort zu verabschieden. Sie suchte nach dem Funkgerät, das noch immer fest an ihrer Jeans saß, legte den kleinen Schalter um, flüsterte »Hallo? Wilkens? Fuchs?« Keine Antwort. Und nach einer Schrecksekunde wusste sie auch, weshalb. Das Auf- und Absetzen des engen Helms musste das Mikro gelöst haben, sie tastete sich ab und stellte fest, dass das haarfeine Kabel zum Sender lose nach unten hing. Mist, sie hatte es versaut, sie hatte durch ihre blöde Wencke-ist-für’s-Motorradfahren-geboren-Laune vollkommen den Kopf verloren – und den sicheren Draht zu Boris und Co. Jetzt war sie auf sich allein gestellt, selbst Schuld.
    Patch
drehte sich zu ihr um und kam in raschen Schritten auf sie zu. »Verdammte Scheiße!«, fluchte er. Sein Blick konnte alles und nichts bedeuten. »Wir müssen sofort los!«, rief er und steuerte auf das Motorrad zu. Nein, sie würde auf keinen Fall mit ihm zurückfahren. Alles an ihm strahlte Gefahr aus, da setzte sie sich nicht in seinen Rücken. Doch er sah das offensichtlich anders und griff sie hart am Arm. »Los, setz dich sofort auf ’s Bike.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Unser kleiner Ausflug ist vorbei. Es gibt Ärger in Schwerin, mächtigen Ärger!«
    Sie riss sich von ihm los. »Du, ich will da in nichts reingezogen werden, ich möchte lieber allein   …«
    »In nichts reingezogen werden? Ich lach mich gleich tot! Wer seine Hütte an die
Devil Doves
vermietet, der steckt mittendrin in allem. Das müsstest du doch wissen, so naiv bist du sicher nicht, Christine Frey   …« Er reichte ihr den Helm und warf den Motor an. »Es wird jetzt ein bisschen schneller werden. Keine Sonntagsspazierfahrt mehr!«
    »Ist okay!«, sagte Wencke und stieg mit zittrigen Beinen auf. Es hatte keinen Sinn, sich gegen ihn zu stellen, seine Gelassenheit war einer seltsam heftigen Aggression gewichen, die |160| ihr ganz und gar nicht gefiel. Andererseits konnte sie schließlich schlecht hier am Rand der Welt hocken bleiben.
    Er beschleunigte so rasant, dass sie fast hintenüber gekippt wäre. Dafür bremste er dann die ganze Fahrt nach Schwerin so gut wie nie, sogar als eine verwaiste Ampel im Nirgendwo tiefrot zum Halten aufforderte. Was war der Grund für diese lebensgefährliche Hetze?
    Ihr wurde übel von der Raserei, und die Kurven, die ihr auf der Hinfahrt noch Spaß gemacht hatten, katapultierten nun ihre Eingeweide von links nach rechts, schwenkten ihr Hirn gegen die Schädeldecke, zumindest fühlte es sich so an. Sie brauchten für die Strecke nur halb so lang, selbst im Schweriner Stadtbereich

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