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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lüpkes
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»Magst du mal selber fahren?«
    Wencke schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall!«
    »Ach, komm, Christine, enttäusch mich nicht! Eine kleine Runde! Das ist ein altes Betriebsgelände, normalerweise kommt hier kein Mensch hin.« Es war schwer bis unmöglich, sich seiner Aufforderung zu widersetzen. Zögernd nahm sie auf dem Sattel Platz, ließ sich die Fußschaltung erklären und machte ein paar etwas alberne Laufübungen mit der
Harley
zwischen den Schenkeln, um das Gleichgewicht zu finden.
    »Siehst du, klappt doch schon ganz gut. Und nun lässt du den Motor an und fährst bis zu dem Weißdornbusch da hinten. Nur Schritttempo, und ich laufe nebenher.«
    Wie leicht es ihr fiel, alles zu machen, was er von ihr verlangte. Blubbernder Motor, langsam die Kupplung am linken Griff kommen lassen, rechts dann sanft Gas geben – und tatsächlich rollte sie vorwärts. Es war gar nicht so schwer, aber wahrscheinlich hätte eine nur mäßig ehrgeizige Schildkröte sie locker überholt.
    |156| Nach der Kehrtwende traute sie sich schon mehr zu, nahm sogar den zweiten Gang, ließ den Zeiger des Tachometers auf über 30   km/h klettern. Für einen Geschwindigkeitsrausch reichte das nicht, aber es fühlte sich verdammt gut an.
    »Hey, du bist für’s Bike geboren!«, freute sich
Patch
, der nun nicht mehr hinterherkam.
    »Okay!«, gab Wencke zurück, änderte wieder die Richtung, traute sich noch mehr, jubelte innerlich und überlegte sogar einen Moment, ob
Patch
recht hatte, ob sie bislang wirklich was verpasst hatte und tief drin in ihr ein Rockerherz schlug, das nun nie wieder zur Ruhe kommen würde. Dritter Gang – es stimmte, das Motorrad schien zu wissen, wohin es zu fahren hatte. Vierter Gang – sollte sie einfach davonrauschen?
Patch
winkte von weit her, er schien zu befürchten, dass sie sich tatsächlich aus dem Staub machte. Wie schade, dass sie dazu viel zu vernünftig war.
    Als Wencke schließlich neben ihm stoppte, den Motor abstellte und den Helm vom Kopf nahm, war sie bester Laune. Und zufrieden, sich jetzt hier am Ufer einfach ins Gras setzen zu können, um den kleinen, kaum erkennbaren Wellen zuzusehen. Dass
Patch
sich dicht neben sie setzte, obwohl eigentlich genug Platz war, fühlte sich nicht unangenehm an. Motorradfahren war eine ideale Methode, sich ganz schnell ganz nahe zu kommen. Der Qualm seiner Zigarette stieg ihr direkt in die Nase.
    »Das hier ist ein ganz besonderer Ort«, begann er ein Gespräch, und irgendwie wusste Wencke, dass er sich die Worte ein bisschen zurechtgelegt hatte. »Das letzte Mal bin ich mit Leo hier gewesen.«
    »Das ist doch der Anwalt, den sie ermordet haben, oder?«, stellte Wencke sich blöd.
    Er nickte. »Wir sind oft zusammen einfach losgebrettert und haben uns dann irgendwo hingesetzt und eine geraucht.«
    |157| »War er ein netter Typ?«
    »Er war ein Freund. Ein Bruder.«
    »Scheiße!« Wencke gab sich verständnisvoll, doch eigentlich fand sie es eher seltsam, dass
Patch
so ganz von selbst anfing, über Leo Kellerbach zu sprechen. Weder gestern Abend noch sonst irgendwann hatte einer der Rocker ihr gegenüber diesen Mann erwähnt, als sei das ein absolutes Tabu, mit Nichtbrüdern darüber zu reden. Und nun präsentierte
Patch
ihr seine ganz persönliche Sicht der Dinge quasi frei Haus.
    »Was glaubst du denn, wer es war?«, fragte sie schließlich, weil sie annahm, dass Christine Frey jetzt diese Frage gestellt hätte.
    »Soll ich es dir sagen? Meine ehrliche Meinung?« Er schaute sie mit einem gekonnt ernsten Blick an. »Entweder waren es die
Gangster
, verdammt, die waren sauer, weil Leo uns vor Gericht immer rausgehauen hat und so weiter. Oder es war jemand von uns.«
    »Einer von euch?« Wencke war ehrlich erstaunt. »Aber ich denke, ihr seid Brüder!«
    »Auch in den besten Familien gibt es schwarze Schafe. Und unter uns sind ein paar Verräter, das wissen wir längst.«
    »Was meinst du mit ›Verräter‹: Spitzel?« Es wurde gefährlich. Immer mehr hatte Wencke das Gefühl, dass
Patch
sie auf diesen kleinen Ausflug mitgenommen hatte, um ihr etwas zwischen den Zeilen zu verstehen zu geben. Wie hatte sie glauben können, er hatte sie zum reinen Vergnügen gefragt?
    »Du kannst dir sicher sein, wenn wir nur einen von ihnen erwischen, machen wir kurzen Prozess.« Er trat seine Zigarette in die Grasnarbe. »Rocker kennen keine Gnade, bei niemandem. Nicht bei alten Männern und nicht bei jungen Frauen, verstehst du?«
    Ja, Wencke verstand, und zwar sehr gut. Damit

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