Taubenkrieg
jetzt gleich einlösen.« Erst jetzt erkannte Wencke, dass er in der einen Hand zwei Motorradhelme hielt, die er nun einladend in die Höhe hob. »Hast du denn gar keine Sehnsucht, noch einen Blick auf die gute alte Ostsee zu werfen, bevor du dich wieder mit dem Mittelmeer begnügen musst?«
Mannometer, was war hier los? So offensichtlich war Wencke seit den Zeiten der Neuen Deutschen Welle nicht mehr angebaggert worden. Und sie musste zugeben, es fühlte sich gar nicht so schlecht an. Nach so vielen Jahren. »Ein bisschen Zeit hätte ich schon …«
»Und Lust?«
|151| Sie zögerte kurz. Prompt meldete sich die Kosian über den Kopfhörer, sie hatte mit ihrer Vermutung, dass ihre Chefin die ganze Zeit mithörte, recht gehabt. Jetzt fühlte sie sich genötigt, ihr eindringliche Warnungen zuzuflüstern: »Frau Tydmers, sagen Sie auf keinen Fall zu. Das ist viel zu riskant. Wir wissen nicht, ob Ihre Tarnung noch sicher ist.« Wencke versuchte, die penetrante Stimme zu ignorieren.
»Was ist? Traust du dich nicht?«
Patch
konnte ziemlich charmant lächeln.
Es gab einen Haufen Gründe, ihm einen Korb zu verpassen. Erstens war es tatsächlich nicht ungefährlich – immerhin konnte dieser muskelbepackte und aller Wahrscheinlichkeit nach bewaffnete Mann auch eine ganz andere Rolle in diesem Fall spielen, als er bislang vorgab. Zweitens war die Ansage der Kosian klar und deutlich gewesen: ab sofort keine Aktionen mehr im Rahmen der Ermittlungen. Sie war raus. Drittens gab es da doch noch Nikola Kellerbach,
Patchs
Freundin, eine Frau von der Sorte, mit der man es sich lieber nicht verscherzen wollte. Viertens würde es unglaublich schwer werden, die ganze Zeit die Rolle der Christine Frey zu spielen. Fünftens war
Patch
überhaupt nicht Wenckes Typ.
Sie nannte schließlich nur den sechsten Grund laut: »Ich … ich habe noch nie auf einem Bike gesessen.« Aber ich hätte tierisch Lust darauf, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Keine Sorge, du musst ja nicht selber fahren. Und auf dem Sozius kannst du eigentlich kaum was falsch machen. Es wäre mir ein besonderes Vergnügen, der Kapitän deiner Jungfernfahrt zu sein.«
Wencke wusste, sie sollte jetzt besser einfach mit ihrem geliehenen Cabriolet in die Stadt fahren und sich irgendein Museum anschauen. Oder im sicheren Hotel einen gefahrlosen Kaffee trinken. Doch auch wenn
Patch
etwas alberne Machosprüche von sich gab, die Idee, mit ihm ans Meer zu |152| fahren, gefiel ihr einfach besser. Nicht zuletzt, weil sie noch immer ein kleines bisschen Hoffnung hegte, durch einen freundlichen Zufall oder ihre Hartnäckigkeit irgendeinen Hinweis zu finden, der weitere Ermittlungen in diesem Fall zwingend machen würden. Es war nicht Wenckes Art, sang- und klanglos aufzugeben, nur weil es von ihr verlangt wurde. Abgesehen davon war das Angebot einfach zu verlockend, ein paar Momente allein mit einem Mitglied der Teufelstauben zu sein, das sicher mehr wusste, als es bislang zu Protokoll gegeben hatte. Wenn das nichts brachte, gut, dann würde sie eben die Koffer packen und zum Zelten nach Ostfriesland fahren. Sie könnte mit Emil baden gehen und Eis essen, das war wirklich keine schlechte Alternative. Aber diese letzte Chance musste sie nutzen.
»Okay, reichen Lederjacke, Jeans und Turnschuhe?«
»Mir schon!« Er grinste.
Dass sie Elektroschocker und Pfefferspray in die Innentasche schmuggelte und das Funkgerät an ihrem Hosenbund ausstellte, bemerkte er nicht. Sollte es brenzlig für sie werden, könnte sie das Ding jederzeit wieder anstellen. Doch bis dahin hatte sie Ruhe vor den Unkenrufen ihrer Chefin. »Lass uns starten!«
Als sie nebeneinander zum Clubhaus liefen, gab es keinen Bruder, der nicht am liebsten seinen Kopf wie eine Eule um dreihundertsechzig Grad gedreht hätte, um jeden Schritt der beiden mitzubekommen. Bei allen Tattoos und Glatzen und abzeichenschweren Kutten – in diesem Moment gebärdeten sich die gefährlichen
Devil Doves
wie eine Horde alter Weiber beim Kaffeeklatsch. »Viel Spaß, ihr zwei Süßen!«
Die Maschine stand so einladend geparkt,
Patch
musste sich sehr sicher gewesen sein, dass Wencke die Spritztour mitmachen würde. Zugegeben, das Bike war fast ein Kunstwerk. Ein Airbrusher hatte die Tankverkleidung mit einer vollbusigen, |153| leicht bekleideten Blondine verziert, die auf dem Rücken eines extrem muskulösen Einhorns ritt. Wer’s mag…
Patch
setzte sich auf den Sattel und wies auf den Platz hinter sich, der wie ein kleines
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