Taubenkrieg
Mäxx
hatte Kellerbach senior einen Platz direkt vor dem Podest gefunden, die autoritäre Aura war aber durchaus vergleichbar.
»Wenn ich sage, es reicht, dann reicht es«, wetterte er stehend, nachdem die ersten offiziellen Redner vom aktuellen Stand der Dinge berichtet hatten und ihm das Wort erteilt worden war. »Meine beiden Kinder sind innerhalb weniger Tage Opfer von brutalen, rücksichtslosen Rockern geworden. Meinem Sohn Leo hat es das Leben gekostet, meine Tochter Nikola liegt schwer verletzt auf der Intensivstation. Davon bin |190| ich persönlich heftig getroffen, glauben Sie mir.« Er legte seine Handflächen aneinander, als bitte er die Anwesenden, seine so offensichtlich unterkühlte Art zu ignorieren, immerhin trug er zu diesem Anlass auch einen entsprechenden Traueranzug. »Doch darüber hinaus lässt es mich auch nicht kalt, dass außerdem noch ein gewisser Gustav Helmberg niedergeschlagen wurde, und zwar mitten in der Stadt vor den Augen zahlreicher Passanten. Ganz zu schweigen von Karl-Heinz Papp, der im Auftrag des LKA unterwegs war – was ihm angetan wurde, ist unvorstellbar!« Kellerbach senior machte eine gekonnte Pause, dann hob er seine Lautstärke um eine winzige Nuance: »Und das alles konnte nur passieren, weil die Polizei sich als absolut unfähig erwiesen hat!«
Der Mann musste zu seinen Glanzzeiten ein grandioser Anwalt gewesen sein, denn er schaffte es, seine verständliche Erregung genau bis zu der Stelle sichtbar werden zu lassen, die für die Zuhörer erträglich war. Sein Gesicht blieb vornehm blass, er spuckte nicht, und seine Hände lagen ruhig auf dem Haufen Papier, der vor ihm gestapelt lag. Dennoch spürte jeder hier im Saal, dieser Mann war knapp davor, den Moses zu geben, der dem ungehorsamen Volk die steinernen Gebotstafeln entgegenschleudert.
»Seit Jahren mache ich mich mit einigen Mitstreitern stark für ein sicheres Land. Doch weder die machthabenden Politiker noch die Medien wollen etwas davon hören. Muss erst eine solche Katastrophe geschehen, damit endlich umgedacht wird?«
Die Radiojournalistin, die sich auch schon vor ein paar Tagen so engagiert gezeigt hatte, meldete sich zu Wort. »Wollen Sie da auf Ihr Konzept anspielen, das Sie vor einem Jahr dem Landtag verkaufen wollten? Wie hieß es gleich: ASMV?«
Kellerbach senior schien erfreut, dass sich jemand daran erinnerte. |191| »Aktion Sicheres Mecklenburg-Vorpommern. Genau davon rede ich. Das wäre hier vonnöten gewesen …«
Die Journalistin machte ein skeptisches Gesicht, und einer ihrer Kollegen – rein optisch war er der eher liberalen Schweriner Tageszeitung zuzuordnen – rief dazwischen: »Das war doch die Sache mit dem Überwachungskamera-Overkill. Datenschutz ade, stattdessen zurück zu den guten alten Stasi-Wurzeln, oder was?«
Einige Eingeweihte ließen Lacher hören. Boris war jedoch nicht der Einzige, der keine Ahnung hatte, wovon gerade die Rede war.
»Bei allem Respekt, Herr Kellerbach«, und dabei ließ der Reporter wenig Zweifel daran, dass er nichts dergleichen hegte. »Es ist geschmacklos, wie Sie das Schicksal Ihrer Kinder und der anderen Opfer zum Anlass nehmen, diese zu recht vergessene Schwachsinnsidee wiederzubeleben.«
»Ich darf doch bitten«, ließ der Pressesprecher von sich hören. Er war erneut überfordert mit dieser Veranstaltung. Vorhin, als es um den Mordanschlag auf Nikola Kellerbach und Wenckes Enttarnung gegangen war, hatte er die Situation noch besser unter Kontrolle gehabt. Doch sobald der alte Kellerbach das Wort ergriffen hatte, wurde es zusehends unruhiger im Raum. Es war offensichtlich, dass sich an dem charismatischen Advokaten die Geister schieden. Einige spendeten seinen Forderungen nach mehr Sicherheit Beifall, andere rollten die Augen.
Kellerbach blieb jedoch die ganze Zeit in seiner Haut und wirkte dabei nicht einmal selbstgefällig. Das musste man erst mal hinkriegen. »ASMV ist nicht nur meine Angelegenheit, wie Sie als Journalist sicher wissen. Wir sind ein Interessensverband aus Vertretern der Justiz, den Parteien, der Wirtschaft. Nicht zu vergessen die vielen Bürger unseres Landes, die sich ebenfalls wünschen, auch nach Anbruch der Dunkelheit noch |192| auf die Straße gehen zu können.« Der betagte Anwalt schaute zu Boris’ Sitznachbarin. Und tatsächlich, die Staatsanwältin Sieglind Maschler nickte ihm zu. Das war ja sehr interessant.
»Die Ewiggestrigen halten eben alle zusammen!« Der Journalist schüttelte den Kopf. Boris konnte
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