Taubenkrieg
sich keinen Reim auf den letzten Satz machen – offensichtlich spielte der Reporter auf eine uralte Geschichte an –, und er war gespannt, welche Schlagzeile sich morgen auf dessen Blatt breitmachen würde. Wenn der Groll der Medien sich verlagerte, war das Boris nur recht. Tilda Kosian wusste genau, warum sie sich so schnell wieder vom Acker gemacht hatte: Der niedersächsische Undercover-Einsatz auf fremdem Terrain war von allen hier Anwesenden scharf kritisiert worden. Lediglich die Tatsache, dass Wenckes Erste-Hilfe-Maßnahme in der Kanzlei das Opfer vor dem Verbluten gerettet hatte, bewahrte Boris davor, von den Anwesenden geteert und gefedert zu werden.
Die Pressekonferenz dauerte nun schon fast eine Stunde, und die Luft im Sitzungssaal wurde immer dicker, in jeder Hinsicht. Als Boris schon befürchtete, sein Hemdknopf würde gleich im hohen Bogen abspringen, erklärte der verschwitzte Pressesprecher die Zusammenkunft für beendet. Die eine Hälfte begrüßte dies, die andere – vorwiegend jene, die mit ihrer Diskussion um die Sicherheit das Ganze so unerträglich aufgeheizt hatten – wurde ausgebremst.
Sieglind Maschler fasste Boris beim Hinausgehen sanft am Arm. »Könnte ich Sie gleich einen kurzen Moment sprechen?«
»Natürlich.« Was sollte er mehr dazu sagen? Es war klar, dass die Staatsanwältin mit Wenckes eigenmächtigem Vorgehen und dem Einsatz des LKA Niedersachsen nicht einverstanden war, wahrscheinlich wollte sie ihm das nun noch mal persönlich mitteilen. Als hätte er heute noch nicht genug Ärger gehabt.
|193| Doch der Tonfall der Juristin war auffallend verbindlich. »Ihre Kollegin, diese Wencke Tydmers, ist Mutter eines kleinen Jungen, habe ich gehört …«
Boris nickte und hielt der Staatsanwältin die Tür auf. »Ja. Warum?«
»Sie ist verdammt mutig, sich mit den
Devil Doves
anzulegen. Und mit allen anderen noch dazu – Hut ab!«
»Frau Tydmers ist von uns allen die mit dem meisten Mumm in den Knochen.« Draußen vor dem Polizeigebäude standen noch etliche Gruppen eifrig diskutierend beieinander, und Boris beschleunigte den Schritt, damit ihn nicht irgendjemand zu fassen bekam und gnadenlos volltextete. Was wollte Sieglind Maschler wirklich von ihm? Hinter ihrer plötzlichen Bewunderung für Wencke steckte doch etwas anderes.
Sie blieb vor ihrem Auto stehen – ein Mittelklassewagen, so nett und angepasst und solide wie Sieglind Maschler selbst – und machte eine undefinierbare Geste, die Boris am Fortgehen hindern sollte. »Ihr Einsatz gestern im
Hot Lady
war ja ziemlich exotisch.«
»Normalerweise meide ich solche Häuser«, bestätigte Boris. »Aber ich hatte einfach das Gefühl, dass wir dort suchen müssen. Der Rockerkrieg, an den Sie ja alle weiterhin felsenfest glauben, hatte dort seinen Ursprung. Ich wollte herausfinden, wer alles mit drinhängt und welche Rolle Leo Kellerbach spielte. Und dann habe ich einfach mal meine Kompetenzen überschritten …«
»Ich nehme es Ihnen nicht übel. Im Gegenteil, inzwischen habe ich mir so meine Gedanken gemacht und …« Sie kramte in ihrer Handtasche, suchte scheinbar nach ihren Autoschlüsseln, doch Boris hatte die Vermutung, dass noch etwas anderes hinter dieser Verzögerungstaktik steckte.
»Und die wären?«
Sie entriegelte die Türschlösser. »Steigen Sie ein?«
|194| »Wohin fahren wir?«
»In die Helioskliniken. Ich hoffe, dass Nikola Kellerbach inzwischen ansprechbar ist.«
Boris war perplex, nahm die Aufforderung jedoch gern an. Auf der Rückbank waren zwei Kleinkindersitze montiert. »Wie viele Kinder haben Sie?«
»Zwei. Achtzehn Monate und dreieinhalb.« Sie ließ den Motor an und rollte vom Parkplatz des Polizeigebäudes. »Das ist nicht ohne. Zwei kleine Jungs und ein Job wie meiner. Da kann man schon mal … na ja.« Sie tat so, als müsse sie sich auf den Verkehr konzentrieren, obwohl die Straßen stadtauswärts recht leer waren. In Wirklichkeit haderte sie mit sich selbst, das war deutlich zu erkennen. Sie überlegte, ob sie ihre eben angerissenen Gedanken nun aussprechen sollte oder nicht. Diese Entscheidung konnte Boris ihr nicht abnehmen.
»Ich habe nicht viel Zeit, wissen Sie?« Sie räusperte sich. »Als ich damals in Rostock Jura studiert habe und dann nach einer ernüchternden Zeit als Amtsrichterin in Güstrow das Angebot bekam, hier als Staatsanwältin zu arbeiten, da hatte ich noch den festen Vorsatz, es besser zu machen, mir jeden Fall gründlich anzusehen und eine eigene,
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