Taubenkrieg
darum gegangen, Nikola Kellerbach für eine Weile außer Gefecht zu setzen.
Boris stellte sich so, dass Nikola ihn sehen konnte, ohne sich viel bewegen zu müssen.
»Können Sie sich noch erinnern, was in Ihrer Kanzlei passiert ist?«
»Nein.« Sie hustete und verzog schmerzvoll das Gesicht.
»Warum hat man Ihnen so etwas Schreckliches angetan?« Hoffentlich war diese Frage nicht zu kompliziert. Bisher waren Nikola Kellerbach nur einzelne Wörter gelungen, und auch das schien sie viel Kraft gekostet zu haben. Er musste es anders formulieren: »Haben Sie eine Ahnung, wer dahintersteckt?«
»Nein.«
|200| Sieglind Maschler schaute ihn fast mitleidig an. Er kam so nicht voran. Die Patientin war sehr schwach, wenn er nicht bald die richtigen Fragen stellte, wäre die Zeit abgelaufen, in der sie überhaupt noch bei Bewusstsein wäre. Aber womöglich gab es etwas, was diese Schwerverletzte loswerden wollte, was ihr quasi auf den blassen Lippen lag, er musste es nur erraten. »Sie waren in Ihrer Kanzlei, obwohl am Freitagnachmittag eigentlich keine Sprechstunde gewesen ist. Auf dem offiziellen Planer Ihrer Sekretärin war kein entsprechender Termin vermerkt. Waren Sie mit jemandem dort verabredet?«
»Ja.«
»Hatte dieses Treffen etwas mit dem Tod Ihres Bruders zu tun?«
»Ja.«
»Wir wissen, dass Sie ungefähr eine Dreiviertelstunde vor dem Überfall bei Ihrem Freund Thorsten Schwarz angerufen haben, das hat uns Ihre Telefonanlage verraten. Hat er vielleicht … ich meine, denken Sie, dass er sie so zugerichtet hat?«
Sie antwortete nicht. Das machte wenig Sinn, sie schien wirklich keine Erinnerung mehr zu haben. Vielleicht sollte er die kurze Zeit noch nutzen, Hintergrundwissen zu erlangen, um über einen Umweg die richtige Spur zu finden. »Glauben Sie, Ihr Bruder wurde von den
G-Point -Gangstern
ermordet?«
»Nein.«
»Vielleicht von seinen eigenen Leuten? Den
Devil Doves
?«
»Viel… leicht…«
Das war zumindest mal eine mehrsilbige Aussage. Was konnte er daraus basteln? »Gab es Probleme mit dem
Hot Lady
?«
»Ja.« Sie hustete wieder, dieses Mal heftiger. Boris hatte Mitleid mit dieser Frau, jede Bewegung schien sie vor Schmerz zu zerreißen. Doch er musste weitermachen. Nur so konnte er |201| mit ein bisschen Glück herausfinden, was tatsächlich geschehen war.
»Leo … wollte…« Eine lange Pause. Es war so schwer, nicht ungeduldig zu werden. »… nichts … zu tun … haben …«
»Ihr Bruder hatte vor, das Bordell zu schließen?«
»Kann … sein.«
»Gab es Ärger? Hat er sich mit seinen Rockerbrüdern gestritten, weil dort Sachen nicht so liefen, wie sie laufen sollten?«
»Ja.«
Das konnte vieles bedeuten. Diese Version passte zumindest schon mal mit der Aussage der Prostituierten zusammen. Tamara hatte gesagt, dass Kellerbach dem
Hot Lady
schon eine Weile ferngeblieben war. Der Brandanschlag auf das alte Clubheim könnte dann tatsächlich auf das Konto der Teufelstauben gehen und der Beweisvernichtung gedient haben. Und da
Patch Blacky
bekanntermaßen im Rotlichtgeschäft mitwirkte, kam er auch als Täter in Frage, was die Körperverletzung der Nikola Kellerbach anbelangte.
»Sie sind da auf etwas gestoßen, Frau Kellerbach, wahrscheinlich, als Sie Unterlagen Ihres Bruders gesichtet haben. Und Sie wussten, dass Ihr Freund in der Sache mit drinsteckt. Dann haben Sie ihn angerufen und zu sich in die Kanzlei gebeten. Und dann hat er …«
»Nein.«
Warum sagte sie jetzt Nein? Es war eine rundum passende Sache. Hatte sie sich verhört? Oder versehentlich die falsche Antwort gegeben? »Frau Kellerbach, ich bitte Sie, konzentrieren Sie sich noch für eine letzte Frage: Glauben Sie, dass Thorsten Schwarz derjenige ist, der Ihnen das angetan hat? Oder zumindest dahintersteckt?«
»Nein.«
»Wer dann?«
|202| »Eine … Frau …« Eigentlich waren das keine richtigen Worte mehr, eher ein Ausatmen, welches durch müde Lippen in etwas nahezu Unverständliches geformt wurde.
»Wie bitte?«
»… Frau … hat … Papiere …«
»Welche Frau? Kennen Sie Ihren Namen?«
»Heide …«
»Heide – und der Nachname?«
Aber Nikola Kellerbach schloss die Augen und ließ ihren Kopf nur ein paar Millimeter nach rechts fallen. Es war klar, mehr würde sie ihm heute nicht erzählen.
|203| Die Zweiundzwanzig
ist die Zahl der Menschen, die weitblickend handeln
Die Clara-Zetkin-Straße lag wie ein Ring in der nördlichen Innenstadt, und die wenigen
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