Taumel der Gefuehle - Roman
gewarnt«, entgegnete sie mit tränenerstickter Stimme. »Ich habe dir gesagt, dass du mich verachten würdest. Und nun soll ich mich wie eine Leprakranke verstecken. Das werde ich nicht tun, North. Hörst du mich?«
»Jeder am Merrifeld Square kann dich hören.« Er fuhr in sein Hemd und zog sich ein Jackett über. »Irgendwo gibt es ein Kind, nicht wahr?«
Sie zögerte. Jahre des Verdrängens hatten gute Arbeit geleistet. »Ja«, sagte sie schließlich leise.
»Warum konntest du es mir nicht erzählen?«, fuhr er sie wütend an.
»Das kann ich dir nicht erklären.«
Seine Stimme war nun ruhig und klang müde. »Geh weg. Ich kann deinen Anblick im Moment nicht ertragen.«
Der Ausdruck in seinen Augen ließ sie zusammenfahren. Sie ging ins Schlafzimmer zurück und setzte sich auf das Bett, bis North gegangen war. Sobald sie die Haustür ins Schloss fallen hörte, zog sie sich mechanisch an und traf alle Vorbereitungen, das Haus am Merrifeld Square zu verlassen.
Erst zur Mittagszeit des folgenden Tages kehrte North nach Hause zurück. Er roch nach Tabak und Gin, und Schweiß ließ ihm die Kleidung auf der Haut kleben.
Sein treuer Diener Brill ließ Northam sofort ein Bad ein, als er ihn langsam die Treppen heraufkommen hörte. »Soll ich Euch etwas zu Essen bringen lassen, Mylord?«
»Gütiger Himmel, nein«, erwiderte North und verzog das Gesicht. In der Badewanne lehnte er sich seufzend zurück, während Brill ihm vorgewärmte Handtücher brachte.
»Ist Lady Northam fort?«
»Ja, Mylord.«
Obwohl er seinem Lakai keine Rechenschaft schuldig war, entschied er sich auszuprobieren, wie leicht ihm die Lüge über die Lippen ging. »Ihre Stiefmutter hat nach ihr gesandt.«
»Das hat auch Mylady gesagt.«
North blickte zu seinem Diener empor. »Sie hat es Ihnen erzählt?«
»Ja, Mylord. Ich half ihr beim Packen.«
»Um wie viel Uhr ist Lady Northam heute Morgen gefahren?«
»Ich glaube, es war kurz nach eins, Mylord, als sie mich bat, eine Mietdroschke zu rufen.«
Dicke Wassertropfen schnalzten auf den Boden, da North plötzlich aus der Wanne hochfuhr. Verärgert griff er nach dem Handtuch, das Brill ihm reichte. »Sie wollen mir nicht im Ernst weismachen, dass sie eine Mietkutsche genommen hat? Und das mitten in der Nacht? Warum haben Sie nicht nach mir geschickt?«, fluchte er.
»Lady Northam versicherte mir, es sei unnötig. Sie meinte, Ihr wüsstet von ihrer Abreise«, entgegnete Brill verschüchtert.
North schnaubte vor Wut. »Meine Reitkleidung, aber schnell!«
Der Wintergarten auf Stonewickam war ein äußerst ruhiger und gemütlicher Raum. Die Luft war angenehm feucht und mit dem Duft frischer Erde und saftigen Grüns angefüllt.
Elizabeth ruhte auf einem bequemen Sessel vor den hohen Fenstern. Ein Lichtstrahl fiel über ihre Schulter und erleuchtete die Seiten ihres Buches. Ihre Augen wanderten zu den Orchideen auf dem Boden. Die zartlavendelfarbenen und blassblauen Blütenblätter waren ein Wunder der Natur zu dieser Jahreszeit, und Elizabeth genoss es, sie anzusehen.
»Hier seid Ihr.«
Erstaunt fuhr Elizabeth hoch, als Lord Worth zwischen einem säuberlich gestutzten Rosenbusch und einer imposanten Palme auftauchte, die er vor fünfzig Jahren von Kapitän James Cook geschenkt bekommen hatte.
»Wollt Ihr Euch nicht zu mir setzen?«, bat Elizabeth, während sie ihr Buch zuklappte und es neben sich auf einen mit Ornamenten verzierten Abstelltisch legte.
»Wenn Ihr es wünscht«, entgegnete er schroff.
Amüsiert musste Elizabeth lächeln. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, dass seine Enkel sich von ihm hatten einschüchtern lassen. In Wirklichkeit war Northams Großvater allerdings ein sehr liebvoller und gütiger Mann. Man musste ihm nur dabei zusehen, mit wie viel Hingabe er im Wintergarten arbeitete oder seinen Orchideen und Rosen aufmunternde Worte zusprach.
»Worüber lächelt Ihr?«
»Über Euch. Euer Enkel ist Euch sehr ähnlich, wusstet Ihr das?«
»Wie bitte? Ihr wollt doch wohl nicht Euren Gastgeber beleidigen?« Er zeigte mit dem Gehstock auf die Palme. »Dieser Baum hat mehr gesunden Menschenverstand als Brendan. Trotzdem ist es kaum zu glauben, dass er Euch noch immer nicht gefunden hat.«
»Ich erklärte Euch gleich, Ihr solltet ihn nicht erwarten. Er sucht nicht nach mir, sondern nach einem Dieb.« Eine Welle der Traurigkeit und Sehnsucht überkam sie und raubte ihr beinahe den Atem.
»Was ist mit Euch?«, wollte Cecil Worth wissen. »Ist Euch nicht
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