Taumel der Gefuehle - Roman
hätte die soziale Gesellschaftsordnung auf den Kopf gestellt. Daher war es vernünftiger und weit weniger bedrohlich zu glauben, dass sich ein Gentleman entschlossen hatte, das Handwerk eines Diebes auszuüben.
Vorsichtig öffnete Northam die Tür, die auf das Dach
führte. Sie schwang geräuschlos auf. Die Angeln schienen gut geölt zu sein, was ihn zu der Annahme verleitete, dass dies ein häufig benutzter Durchgang sein musste. Als er nach draußen schritt, verstand er, warum die Gäste auf Battenburn hierher kamen. Der Nachthimmel erstreckte sich endlos dahin, ohne Anfang oder Ende. Northam hatte sich aus zwei Gründen dafür entschieden, an diesem Abend das Dach zu besuchen. Der Mond war nicht zu sehen, was eine gute Gelegenheit für den Dieb darstellte. Außerdem war es eine perfekte Möglichkeit für North, die Sterne zu beobachten. Falls der Gentleman-Dieb entschlossen war, in dieser Nacht in seinem eigenen Bett zu schlafen, anstatt die Steinmauern von Battenburn zu erklettern, konnte Northam wenigstens das Beste aus seiner Wache machen.
Der Earl schritt an der Dachbrüstung entlang, wobei er ab und zu innehielt, um einen Blick über das Geländer zu werfen und die Mauervertiefungen zu betrachten. Da sich seine Augen bereits an die Dunkelheit gewöhnt hatten, versorgte ihn der sternenklare Himmel mit genügend Licht, um die Schatten der eingelassenen Fenster zu mustern und sich verschiedene Wege zu überlegen, die ein Dieb benutzen könnte, um von einem Raum zum nächsten zu klettern, wenn er sich von der Außenmauer aus Einlass verschaffen wollte.
Northam war nie auf einer der Festlichkeiten gewesen, auf denen der Gentleman-Dieb sein Unwesen getrieben hatte. Während Lady Carver ihre Brosche gestohlen wurde, weilte Northam gerade bei den Pollards und versuchte verzweifelt, ihrer ältesten Tochter aus dem Weg zu gehen.
In diesem Winter hatte es eine ganze Reihe an Diebstählen
gegeben, die zwar nicht wirklich die Handschrift des Gentlemans trugen, ihm allerdings trotzdem zugeschrieben wurden.
Bereits seit fünf Jahren beraubte dieser geheimnisvolle Dieb die Reichen und gab die Beute... nun ja... sich selbst. Üblicherweise schlug er nur während sehr weniger Abendgesellschaften der Oberschicht direkt zu. Er schien es vorzuziehen, den Stadthäusern der beliebtesten Mätressen einen Besuch abzustatten, wo er Juwelen rauben konnte, die von den jeweiligen Männern ersetzt wurden, und somit kein großer Aufruhr losbrach. Es war dem Ansehen des Gentleman-Diebes nicht abträglich, dass ab und zu ein Schmuckstück als gestohlen erklärt wurde, obgleich es in Wirklichkeit versetzt worden war, um Spielschulden zu begleichen.
Northam hatte Monate benötigt, um sich ein Bild darüber zu verschaffen, welche Gerüchte der Wahrheit entsprachen und welche frei erfunden waren. Aber noch immer konnte er das eine nicht mit völliger Sicherheit vom anderen unterscheiden. Es war absurd zu glauben, dass jedes Mal, wenn eine Geldbörse entwendet wurde, der Gentleman-Dieb seine Finger im Spiel hatte.
Die Berichte der Augenzeugen waren nur teilweise hilfreich. Lord Gaithers hatte den Dieb in seinem Arbeitszimmer überrascht und gab eine fragwürdige Beschreibung des Mannes ab, wobei Northam daran zweifelte, ob der Gentleman-Dieb tatsächlich derart imposant und kräftig war, wie Gaithers dies seinen Zuhörern Glauben machen wollte. Es war wahrscheinlicher, dass Seine Lordschaft ein wenig übertrieb, um zu erklären, warum der Dieb ihm die geladene Pistole aus der Hand schlagen und entfliehen konnte.
Der Gentleman-Dieb war kein Narr.
Unter der Führung von Oberst Blackwood hatte Northam seit über sechs Monaten jegliche, spärlich gesäte Beweise gesammelt. Das schloss die heikle Arbeit ein, mit all den Opfern aus der Oberschicht zu sprechen, ohne diese spüren zu lassen, dass sie befragt wurden. Er stellte die Gästelisten bei hunderten von Abendgesellschaften der letzten fünf Jahre zusammen und untersuchte sie peinlich genau nach Besonderheiten und Gemeinsamkeiten. Er ging sogar so weit, gesellschaftspolitische Themen miteinzubeziehen. Hatten Napoleons Siege und Niederlagen den Zeitpunkt der Diebstähle beeinflusst, oder vielleicht der Friedensvertrag von Gent, der den Krieg mit Amerika beendete?
Wären es allein Juwelen, auf die der Gentleman ein Auge geworfen hatte, wäre Norths Aufgabe um einiges leichter zu bewältigen. Seinen Auftrag erschwerten jedoch die Dinge, die gleichzeitig verschwunden waren, die aber kaum
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